Genug Zug

Es reiste ein Mensch gern im Zug,
doch ist dieser oft im Verzug.
Am Gleis wird es zügig
recht zugig. “Jetzt krieg’ ich
vom Bahnfahr’n doch langsam genug!”

Kein Tier

Der Mensch ist kein Tier
und schon gar kein Affe
sagen die Kreationisten
und verweisen auf das Buch der Bibel

Der Mensch ist kein Tier
Tiere sind nicht annähernd so brutal
sage ich
und verweise auf das Land der Bibel

Bahnanenrepublik

Es interessiert mich einen Scheiß, warum eure Züge verspätet sind! Also spart euch gefälligst diese überflüssigen Durchsagen am Bahnsteig, warum der Zug, auf den ich gerade warte, unpünktlich ist. Es interessiert mich nicht! Ich habe in den letzten Monaten eine ellenlange Liste eurer Rechtfertigungen gesammelt – sie kommen mir vor wie die Ausflüchte eines Schülers für seine verpatzte Arbeit: “Ich musste meiner Mutter helfen.” “Der Termin beim Kieferorthopäden ging so lang.” “Niemand hat mir die Aufgaben gebracht, als ich krank war.” Am Ende des Tages spielt es keine Rolle, warum die Arbeit danebenging oder warum ich zu spät gekommen bin.

Wäre der Zustand unserer Demokratie am Zustand der Deutschen Bahn abzulesen, wären wir längst in einer Bananenrepublik angekommen. Zum Glück ist das nicht so, und doch haben Bahn und Politik etwas miteinander zu tun: Denn es ist sicherlich nicht einfach Missmanagement oder übertriebenes Krankfeiern des Personals, das an den Nerven der Fahrgäste zerrt, sondern eklatantes Versagen der Politik: Statt das Schienennetz zu modernisieren und den gestiegenen Bedürfnissen anzupassen, hat man jahrzehntelang vor allem in die Straße investiert. Die Bahn und ihre Fahr-, besser Stehgäste, sind im wahrsten Wortsinn auf der Strecke geblieben.

Nicht beabsichtigt

Es ist schon lange überflüssig,
dass die deutsche Autoindustrie Geld in Werbung steckt.
Jemand anderes macht viel effizienter Werbung für die Straße:

die Deutsche Bahn

Wenn ich ein Vöglein wär

Wenn ich ein Vöglein wär*
wüsste ich nichts vom Krieg
und einäugigen Menschen

Wenn ich ein Vöglein wär
zwitscherte ich drauflos
an jedem Morden neu

* nach dem gleichnamigen Volkslied

Unbändiger Drang zum Leben

Seit einigen Wochen begegne ich morgens regelmäßig einem Obdachlosen, der sich im Warteraum am Bahnhof sein Quartier eingerichtet hat. Über die hölzerne Bank hat er eine gescheckte Decke geworfen, darauf liegt oder sitzt er, eingehüllt in einen gelben Anorak, aus dem ein mächtiger weißer Rauschebart heraussteht. 

Ich steche im Eilschritt vorüber und denke: Wie man so leben kann! Ohne Hoffnung und Perspektive, ein Tag wie der andere, unter diesen erbärmlichen Umständen! Was hält ihn eigentlich noch am Leben?

Er ist nicht der einzige, bei dem ich mich das frage. Berufsbedingt kam ich früher oft in Pflegeheime. Manche Bewohner waren noch aktiv, kurvten im Rollstuhl über den Flur oder saßen mit anderen beim Gehirnjogging im Speisesaal zusammen. Aber dann gab es die Zimmer, wo die Türen halb offenstanden – zu den lebendig Begrabenen. Aus einem Beutel tropfte Flüssigkeit über eine Sonde in ihren Magen und hielt sie am Leben. Aber was für eins! Vor sich hinsiechend starrten sie vor sich hin. Was für eine übermenschliche Kraft hielt sie am Leben? Wenn sie nicht mehr leben wollten, wären sie doch schon längst tot, oder nicht?

Ich habe noch keine Antwort auf die Frage als die, dass in uns offensichtlich ein unbändiger Drang zum Leben angelegt ist. Der selbst dann wirksam ist, wenn von dem, was uns vormals lebenswert erschien, nichts mehr vorhanden ist. Vielleicht auch mitten im Leben, wenn uns phasenweise die Hoffnung entschwunden ist und alles sinnlos scheint.

Heute Morgen klopft der Obdachlose behutsam eine Filterzigarette auf die Bank. Ist das seine Freude? Oder  denkt er, als er mich vorbeihuschen sieht: Wieder so einer, der vor sechs schon zur Arbeit hetzt. Wie kann man nur so leben?!

Lust auf Mainstream

Ich möcht‘ mal wieder Mainstream sein
und mit den Wölfen heulen
und sagen, wie ich manches seh,
ganz ohne Angst vor Beulen

Ich möcht‘ mal wieder Mainstream sein
und mit der Strömung treiben,
doch zwingt im Kopf mein Kompass mich,
auf Gegenkurs zu bleiben

Ich möcht‘ mal wieder Mainstream sein
und mit den Spatzen pfeifen,
statt wie ein Specht das harte Holz
alleine anzugreifen

Ich möcht‘ mal wieder Mainstream sein
und mit der Masse singen,
Applaus bekommen statt Protest,
es will mir nicht gelingen

Ich möcht‘ mal wieder Mainstream sein
und manchmal frag ich mich:
Wer ist hier für die Wahrheit blind –
sind sie es oder bin es ich?

Zweierlei Maß

Der russische Aggressor wurde mit Recht auf’s Schärfste wegen seiner Kriegsverbrechen in der Ukraine kritisiert und international an den Pranger gestellt. Wenn man hingegen angegriffen wird, scheint es nicht so wichtig zu sein, bei seinen Reaktionen völkerrechtliche Regeln einzuhalten, wie Außenministerin Baerbock gerade kundgetan hat. Mit Blick auf Befürchtungen, bei der erwarteten israelischen Bodenoffensive im Gazastreifen könnte das Völkerrecht gebrochen werden, sagte sie: „Es ist nicht an uns, jetzt kluge Ratschläge zu geben.“ (Interview bei Brigitte Live, Quelle: ntv.de)

Bemerkenswert, wie sich die deutsche Außenministerin zum Völkerrecht äußert – als handelte es sich dabei um etwas Fakultatives, das man je nach Situation berücksichtigen könne oder nicht.  Keine Rede davon, dass durch die israelischen Luftschläge im Gazastreifen schon jetzt beinahe so viele Menschen getötet wurden wie durch die Terrorakte der Hamas. Und es steht zu befürchten, dass dies erst der Anfang war. 

Einmal mehr erweist sich die deutsche Politik als schizophren, insofern an die israelische Regierung andere Maßstäbe als an andere angelegt werden. “Macht ruhig mal, ihr habt unsere 100%ige Solidarität, von deutscher Seite habt ihr auf keinen Fall mit Kritik zu rechnen, wir stehen kompromisslos hinter euch.” Ich finde, das sollte Baerbock auch den Ukrainern sagen: “Schlagt zu, egal mit welchen Mitteln. Wenn ihr dabei das Völkerrecht brecht – kein Problem: ihr wurdet ja angegriffen.” Die Frage – abgesehen von den Opfern – ist: Auf welchen Werten basiert das, was verteidigt wird, wenn es mit solchen Mitteln verteidigt wird? 

Phlegräische Felder in Nahost

Nun ist der Vulkan in Nahost ausgebrochen, nicht in Neapel. Und die Metapher darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich nicht um eine Naturkatastrophe, sondern zu 100% um etwas Menschengemachtes handelt: Menschliches von der übelsten Sorte. Die Solidaritätsadressen an Israel widern mich trotzdem an, weil sie verlogen sind. Denn sie schweigen vom Schweigen der Weltgemeinschaft angesichts des stillen Genozids an den Palästinensern, den die Regierung Netanjahu seit Jahren peu à peu vorantreibt – und andere Regierungen vor ihr: indem sie dem ohnehin kärglichen Lebensraum der Palästinenser in Salamitaktik Stück um Stück Land abschneidet, ja stiehlt – und sich dabei kaltschnäuzig und skrupellos über völkerrechtlich bindende Vereinbarungen hinwegsetzt. Israel kann machen, was es will: Mehr als eine Protestnote hat es nicht zu befürchten – am allerwenigsten von Deutschland. 

Die barbarischen Terrorakte werden Netanjahu nicht ungelegen kommen. Während die Hamas nun möglicherweise den Untergang des eigenen Volkes besiegelt hat, wird ihn nun erst recht niemand mehr an dem hindern, was er schon die ganze Zeit am liebsten tun möchte: die Palästinenser platt machen.