Handys verhindern Revolutionen

Vielleicht wäre es schon längst zum Generalstreik gegen die Bahn gekommen, gäbe es keine Handys. Nur so lässt sich die Gelassenheit erklären, mit der die Menschen in unserem Land das Missmanagement der DB über sich ergehen lassen. Der Zug steht seit einer halben Stunde im Bahnhof. Draußen hat es angenehme 33 Grad, drinnen ist es nicht ganz so kühl. Doch niemand schimpft, keiner ereifert sich und schon gar niemand brüllt herum. Der Grund ist einfach: So gut wie alle hantieren an ihrem Smartphone. 

Im Abseits

„Diese Mannschaft ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler.“

Katrin Göring-Eckardt hat es ja gut gemeint mit ihrem Tweet, aber de facto hat sie sich damit ins Abseits manövriert. Statt diese neue Selbstverständlichkeit einfach selbstverständlich sein zu lassen, problematisiert sie die Diversität durch ihre Äußerung. Nun kann man einwenden: das muss sie, wenn sie mit denen ins Gespräch kommen will, die es nicht selbstverständlich finden, dass in der deutschen Nationalelf zwei Schwarze mitspielen und der Kapitän türkischen Hintergrund hat. Dies allein rechtfertigt auch nicht die vernichtende Kritik, die ihr Tweet erfahren hat. Denn ganz so selbstverständlich ist die neue Selbstverständlichkeit dann eben doch (noch) nicht. Es gibt Menschen, die auch nach 1945 noch in einem ganz anderen Deutschland aufgewachsen sind und die in ihrem Leben – nicht nur in dieser Hinsicht – weit mehr Veränderungen erlebt haben als die meisten Generationen vor ihnen. 

Für problematisch halte ich jedoch den Subtext ihrer Äußerung, der lautet: Eine diverse Mannschaft ist besser als eine rein weiße. Und das ist dieser umgekehrte Rassismus, der bei den Grünen vielfach zu finden ist: die übertriebene Liebe zum (ursprünglich) Fremden (Philoxenie). Psychologisch lässt sich diese Haltung plausibel erklären als kompensatorische Gegenbewegung zum deutschen Nationalismus und Rassismus der Kaiser- und Nazizeit. Wurde damals das Fremde abgelehnt und gehasst und galt nur das Eigene, wird es nun liebend umfangen und idealisiert und das Eigene abgewertet.

Damit nun Menschen überzeugen zu wollen, die mit dem neuen Deutschland (noch) ihre Probleme haben, ist freilich reichlich absurd. Lass es doch einfach, möchte man an dieser Stelle  Göring-Eckardt zurufen, und bleib bei dem, worum es eigentlich ging: Fußball. Leistung. Teamfähigkeit. 

P.S. Meine Schüler (8. Klasse Gymnasium) verstanden den Tweet übrigens mehrheitlich (klassisch) rassistisch: “Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler” – die hätten noch besser gespielt! Merke: Kurznachrichten werden durchaus nicht von allen verstanden…

Ein Name

Nach mehr als dreißig Jahren Bauzeit war endlich Einweihung. Doch zwanzig Jahre später wurde das Gebäude bis zur Hälfte wieder abgerissen. Die Wände wurden fünf Meter in die Höhe gezogen, die vormals flache Decke durch ein Kreuzgratgewölbe ersetzt und die Fundamente teilweise neu gegründet. 

Heinrich IV. hatte die neue Kirche in Speyer zwar 1061 eingeweiht, aber zufrieden war er mit dem Projekt, das sein Großvater Konrad in Gang gesetzt hatte, offensichtlich nicht. Er wollte noch höher hinaus. Höher hinaus wollte er auch in der Auseinandersetzung mit dem Papst: Wer hat die Oberherrschaft in der Welt – König oder Papst? Trotz seines (taktischen) Bußgangs nach Canossa 1077 triumphierte Heinrich am Ende, auch wenn sich in der Sache langfristig die Kirche durchgesetzt hat.

Jedenfalls: Er hat es geschafft! 1000 Jahre später spricht man immer noch von ihm.  Heinrich hat sich – auch mit dem Dom zu Speyer – einen Namen gemacht, und anders als die Babylonier in der Bibel (Gen 11) konnte er das Bauwerk vollenden. Die Frage ist nur: Nützt das ihm, Heinrich, jetzt etwas?

Erwischt

Wer bei diesem Bild stutzt, ist mindestens Ü50. 

Oder sollte das Bundeskriminalamt seine Strategie geändert haben und nun einen Bus durch die Lande schicken, um Terroristen in Rente einzusammeln?

Sie singen wieder

In meiner Jugend bekam keiner, der in der Formation stand, den Mund auf. Stumm und unbeteiligt ließen sie das Ganze an sich vorüberziehen. Inzwischen singen sie (wieder), wenn die Nationalhymne erklingt – so wie beim Eröffnungsspiel der EM. 

Seit 2006, der Weltmeisterschaft in Deutschland, setzt sich so etwas wie ein neues Nationalbewusstsein durch. Für meine Generation, der jede nationale Regung gründlich ausgetrieben worden war, löste das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer damals Unbehagen aus. Kam da wieder “Deutschland, Deutschland, über alles”? Was kam, war etwas, was ich naive Freude nennen würde, ohne damit Polemik gegen andere Nationen zu verbinden. Inzwischen habe ich meinen Frieden mit dem neuen deutschen Patriotismus gemacht. Die antinationale Erziehung in meiner Generation war ein Reflex auf den extremen Nationalismus, wie er Deutschland spätestens seit dem Kaiserreich geprägt und in der bizarr-diabolischen Zuspitzung des Nationalsozialismus seinen fatalen Tiefpunkt erreicht hatte. Doch wie so oft hat das Pendel dabei zum anderen Extrem hin ausgeschlagen. Die pauschale Verdächtigung von allem, was nach Bindung ans eigene Land riecht (nicht zu sprechen vom Begriff “Heimat”, der in bestimmten Kreisen Hautausschlag hervorruft), auf der einen Seite und eine naive Philoxenie auf der anderen Seite, die alles toll findet, vorausgesetzt, es ist nicht deutsch, erzeugte verkniffene Deutsche, die sich in aller Welt für ihr Deutsch-Sein entschuldigen. 

Und nun hat der Fußball es geschafft, ganz unpolitisch, und ein Stück Normalität hergestellt und den Deutschen den Anschluss an andere Nationen ermöglicht, wo das Eigene geliebt wird, ohne das Fremde abzuwerten. Denn Patrioten lieben ihr Land – im Wissen darum, dass andere ihr Land genauso lieben.

Ich singe bei der deutschen Hymne mittlerweile mit.

KI und DB (3)

Von einer meiner zahlreichen Odysseen mit der Deutschen Bahn habe ich ausführlich berichtet. Nun saß ich dem naiven Glauben auf, ich könne eine Entschädigung für die von mir auch für andere Fahrgäste verauslagte Taxifahrt erhalten. Brav schrieb ich an die Bahn, ach, im wesentlichen schickte ich den Text aus meinem Blog (zugegeben, einen polemischen Satz über die DB ließ ich aus strategischen Gründen weg). Nach mehreren Wochen erhielt ich folgende Antwort:
“Hallo, Herr Sowieso, vielen Dank für die Zusendung Ihrer Anfrage zu Ihrer Reise von B. nach Amsterdam Centraal. Gern kümmern wir uns so schnell wie möglich um Ihr Anliegen.”
Dass ich als Inhaber eines Deutschlandtickets in der täglichen Berufspendelei unterwegs gewesen war, war offensichtlich untergegangen. Kann vorkommen, beim Textverständnis hapert’s ja bei vielen. Ich solle die Daten meiner damals geplanten Reise nachreichen.

Ich antwortete und fasste den Sachverhalt vereinfacht zusammen:
“Im Schienenersatzverkehr zwischen Rastatt und Karlsruhe war der Bus kaputtgegangen und auf offener Strecke liegengeblieben. Ersatz war nicht in Sicht, da der Fahrer nur spanisch sprach und sich nicht verständigen konnte. Eine Gruppe von 7 Personen machte sich dann mit einem Taxi auf den Weg nach Karlsruhe Hbf. Dabei befanden sich zwei Holländerinnen, die auf diese Weise gerade noch den letzten Zug des Tages nach Amsterdam erreichten, sowie eine Schweizerin, die ebenfalls schon mehrere Stunden verspätet war und nach Köln musste. Ich habe das Taxi bestellt und die Kosten für alle übernommen – es ging am Ende ja um wenige Minuten! Angesichts dieser außergewöhnlichen Situation finde ich es angemessen, dass Sie mir meine Auslagen in Höhe von 25,90 EUR erstatten. Das Ganze war leider wieder einmal kein Glanztag für die DB.”

Drei Wochen später kam heute die Antwort an:
“Hallo, Herr Sowieso, vielen Dank für die Zusendung Ihrer Anfrage zu Ihrer Reise von B. nach Amsterdam Centraal. Gern kümmern wir uns so schnell wie möglich um Ihr Anliegen.” 

Seitdem kreist mein Denken um zwei Alternativen: Ist die KI der Bahn so doof oder sind es ihre Sachbearbeiter? Ich nehme wohlwollend erstes an und stelle zum wiederholten Male fest: Es war auch kein Glanztag für die KI.

Da oben auf dem Schreiben eine Telefonnummer angegeben ist, werde ich nun anrufen. Ich bin gespannt, ob ich in der Warteschleife genauso lang unterwegs sein werde wie mit den chronisch verspäteten Zügen der DB…

Abendzauber

Wo bisher
die triste Fabrikhalle stand
leuchtet
zwanzig nach neun
das schönste
Bauwerk der Stadt

KI und DB (2)

36% der Fernverkehrszüge der DB kamen 2023 mit Verspätung ans Ziel. Im Nahverkehr sollen immerhin etwa 90% der Züge pünktlich sein, was bei der Bahn heißt: mit einer Verspätung von max. 6 Minuten. Ehrlich gesagt traue ich dieser Statistik nicht: zum einen aufgrund eigener Wahrnehmung, zum anderen aus der logischen Annahme heraus, dass die verspäteten Fernzüge ihre Verspätung normalerweise an die untergeordneten Züge weitergeben – mit Zuschlag, versteht sich. Es wäre schön, diese These einmal von der hochgelobten KI überprüfen zu lassen. Für die müsste das doch ein Klacks sein, oder? 

Bei unseren Schweizer Nachbarn war die Bahn im vergangenen Jahr übrigens zu 92,5% pünktlich – dort gelten Züge sogar schon ab 3 min. als verspätet. Auch hier könnte eine KI eine Statistik erstellen, die einen seriösen Vergleich BRD – CH zulässt. Allerdings: Das Ergebnis kann ich mir auch ohne KI schon vorstellen …

P.S. Eine Leserin meines Blogs diagnostizierte bei mir im letzten Winter eine gewisse Obsession, weil es überwiegend ums Thema DB ging. Für einen Berufspendler, der täglich drei bis vier Stunden mit dem ÖPNV unterwegs ist (ohne Verspätungen!), hat das Thema allerdings naturgemäß eine gewisse Relevanz. 

Wo sind all die (alten) Männer hin?

Man sieht sie in Italien, Spanien, Griechenland, in der Türkei sowieso: alte Männer, die auf öffentlichen Plätzen zusammenkommen, um zu trinken, zu rauchen, zu spielen und natürlich zu reden.

Warum gibt es das bei uns nicht? Liegt es an den Temperaturen? Ist unsere Gesellschaft weniger patriarchalisch geprägt, so dass (alte) Männer eher bei ihren Frauen bleiben, als mit ihren Geschlechtsgenossen den Tag zu verbringen? Oder gilt es auch im Alter noch als ehrenrührig, in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man am helllichten Tage nichts zu tun hat?