Werbeweihnacht

Sie beschwören Emotionen
als ginge es um Liebe
zum Krippenkind
statt zum Festtagsfleisch
und Weihnachtswein

Wollen Sie hier rein?

„Wollen Sie hier rein?” Die junge Frau bleibt in der Tür der S-Bahn stehen und dreht sich um. “Ja”, keucht die Alte und schleift ihr Wägelchen hinter sich her. Mit einem breiten Lächeln, das einige vorspringende Zähne entblößt, hievt sie ihr Gefährt über die Schwelle. Ob die Jüngere die Tür aufgehalten hätte, wenn sie wüsste, dass die Schriften im Ziehwägelchen ihr die Tür zum Paradies vor der Nase zuschlagen?

Drei Finger, ein Finger

Acht Menschen sitzen im Café,
schau’n auf ihr Handy, wie ich seh‘,
doch stimmt die Zahl nicht, ich gesteh‘,
denn einer schaut auf den PC.

Wie ist die Welt voll Sucht, o weh,
so kommt’s mir, als ich weitergeh‘
und daraus diese Zeilen dreh‘,
ins Handy tipp ich sie – touché …

Der Preis der Gerechtigkeit: 25,90 EUR

An anderer Stelle habe ich über eine spezielle Erfahrung mit der Deutschen Bahn in diesem Frühjahr berichtet, etwas später über die weitere Entwicklung in diesem Fall. Auf dem Rückweg von der Arbeit war wegen einer Baustelle Schienenersatzverkehr eingerichtet. Der Bus blieb dann allerdings liegen, woraufhin ich für mehrere Mitreisende ein Taxi organisierte und auch bezahlte. Die Rechnung stellte ich optimistisch der Bahn in Rechnung.

Kurz darauf bekam ich die schriftliche Aufforderung, ich möge meine geplante Verbindung nach Amsterdam mitteilen. Amsterdam? In der Taxi-Gruppe waren auch zwei Niederländerinnen gewesen, die dringend die letzte Verbindung des Tages nach Amsterdam erreichen mussten. Ich teilte dem Servicecenter Fahrgastrechte schriftlich mit, es handle sich um ein Missverständnis. Vier Wochen später erhielt ich exakt den gleichen Brief noch einmal. Ok, auf diesem Weg würde das nichts werden. Ich griff zum Telefon. Nach etwa zwanzig Minuten hatte eine freundliche, ältere Mitarbeiterin die Komplexität des Falles begriffen (ich habe als Inhaber eines 49-EURO-Tickets keinen Anspruch auf Entschädigung) und mir am Ende zugesichert: „Das geht klar. Sie bekommen Ihre Entschädigung.“ Anfang Juli meldete sich das Servicecenter, um mir mitzuteilen, die Bearbeitung der Fälle verzögere sich derzeit aufgrund eines Hochwassers und „einer angespannten Betriebsqualität“ (was immer das heißen soll). Eine Woche später lag das nächste Schreiben im Briefkasten, das meine Ansprüche fein säuberlich tabellarisch auflistete und saldierte: 0,00 Euro. An dieser Stelle war ich fast soweit aufzugeben. Allein mein Gerechtigkeitsempfinden trieb mich zu einem letzten Versuch. Ich schrieb, es war inzwischen der 3. September, ans Servicecenter: „Ich weiß nicht, ob eine KI diese Fälle bearbeitet, die abseits der gängigen Parameter blind ist, oder ob Ihre Mitarbeiter nicht in der Lage oder befugt sind, auf einen Fall einzugehen, der abseits der üblichen Systematik liegt. In jedem Fall einmal mehr eine traurige, enttäuschende und zutiefst frustrierende Erfahrung mit der DB.“ etc.
Am 29. Oktober, acht Monate nach dem Vorfall, ging ein Schreiben des Servicecenters Fahrgastrechte bei mir ein: Wieder dieselbe Tabelle, aber diesmal stand im Saldo unter „Entschädigung“: 25,90 EUR. Die Bahn hatte mir exakt den Betrag erstattet, den ich für die Taxifahrt von sieben Personen verauslagt hatte.

Nein, ich werde jetzt nicht anfangen zu rechnen. Mein Stundenlohn abzüglich des Portos für drei Briefe wäre lächerlich. Aber es ist ein gutes Gefühl, am Ende gesiegt zu haben. Oder sagen wir besser: zu erleben, dass die Gerechtigkeit siegt. Wäre sie nur immer für 25,90 EUR zu haben …

Ausgetanzt

Die Blätter tanzen mit dem Wind
sie wirbeln kreuz und quer
sie jagen hoch, sie stürzen jäh
sie schießen hin und her

Ich trete mutig in den Wind
und biet ihm Stirn und Bauch
und wär’n noch Haare auf dem Kopf
so tanzten sie jetzt auch

Noch sind Haare da, aber der Reim war einfach zu verführerisch …

Halbherzig

Pflichtgemäß
ereifere ich mich über den Christbaum
(politisch korrekt: Weihnachtsbaum)
der seit dem 13. November in der Bahnhofshalle steht

Niemand kann mehr warten!
Alles müssen sie sofort haben!
Keinen Respekt mehr vor den Zeiten und Ritualen der Alten!
Es reicht wohl nicht, dass man bereits im Advent
(neudeutsch: Vorweihnachtszeit)
geschmückte Bäume in den Wohnzimmern sieht!

Die Lichter tun gut

Ohnmachtsanfall

Am vergangenen Mittwochvormittag wurde ein Autofahrer in den Weinbergen oberhalb von R. bei einer Attacke schwer verletzt. Offensichtlich war es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Radfahrer gekommen, nachdem dieser sich geweigert hatte, dem Fahrzeug auszuweichen, das verbotswidrig auf einem Wirtschaftsweg unterwegs war. Laut einem Augenzeugen soll der Autofahrer dann versucht haben, den Radfahrer durch dichtes Auffahren vom Weg abzudrängen. Daraufhin sei der Radfahrer stehengeblieben, was den Autofahrer zum Aussteigen bewogen habe. Offensichtlich kam es im Anschluss zu einer tätlichen Auseinandersetzung, deren Hergang noch nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte. Möglicherweise wurde dem Lenker des Fahrzeugs mit einem Fahrradhelm ins Gesicht geschlagen; jedenfalls wurde er mit gebrochener Nase in die Klinik eingeliefert. Zudem müssen ihm eventuell drei Finger, die von der Autotür gequetscht wurden, amputiert werden. Ob sich auch der Radfahrer Verletzungen zuzog, ist unklar. Von ihm fehlt bislang noch jede Spur.

Ich ziehe die Zeitung aus dem Rohr und verpasse einmal mehr die Gelegenheit, mir das Frühstück nicht von schlechten Nachrichten versauen zu lassen. Krieg und Eskalation auf der Titelseite – wie gehabt: Es soll Leute geben, die schon gar keine Zeitung mehr lesen, weil sie es nicht mehr ertragen.  

Ich schalte die Kaffeemaschine ein und lese im Stehen weiter.  Ich stehe auf der Brücke der Titanic und will das Ruder herumreißen, aber meine Arme und Hände sind festgebunden und die neben mir sind blind für den Eisberg in der Dunkelheit.

Ich stelle den Kaffeebecher zur Zeitung, die schon auf dem Tisch liegt. Der Garten verschwimmt hinter dem Kondenswasser auf der Fensterscheibe. Ich lese von einer jungen Bundeswehrrekrutin, die keinerlei Probleme mit Befehlen hat. Befehl ist Befehl. Gehorsam. Pflichterfüllung für Volk und Vaterland. Da wächst eine Generation heran, die sich zu Kanonenfutter machen lässt – unfassbar! Verdammt nochmal, gibt es denn keine Kriegsunwilligen und Gewaltverweigerer in diesem Land?! Würden die, die in Talkshows so vehement den Krieg unterstützen, selbst an die Front gehen oder ihre Kinder dorthin schicken?

Der Kaffee ist nur noch lauwarm. Steigere dich nicht so rein, würde meine Frau sagen. Sie hat Recht. Aber was, wenn wir auf die ganz große Katastrophe zuschlittern? Was werden die Späteren zu uns sagen? 

Während ich den zweiten Kaffee auf den kalten Rest laufen lasse, sehe ich mich am Grab meines Enkels stehen, verheizt im Krieg. Werde ich alles getan haben, um das zu verhindern? Am liebsten würde ich manche Politiker schütteln, wenn sie Milliarden in den Krieg stecken, aber keinen Plan haben, wie dieser Krieg beendet werden soll. Da zerreißt es mich fast.

Der Sportteil muss warten, ich brauche jetzt frische Luft. Der Hochnebel hat ein erstes blaues Loch bekommen.

Ich will’s nicht mehr wissen!

An manchen Tagen habe ich keine Lust mehr, die Zeitung aufzuschlagen. Wenn ich die Artikel über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten lese, deprimiert mich das jedes Mal. Nicht nur wegen der schlechten Nachrichten, sondern auch, weil ich Bürger eines Landes bin, das beide Kriege unterstützt, u.a. mit Waffenlieferungen. Ich fühle mich mitschuldig, ohne etwas ändern zu können. Wenn ich mich für Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland ausspreche, nennt man mich einen “Putin-Versteher”. Fordere ich, der israelischen Regierung die Unterstützung zu entziehen, die den Palästinensern seit Jahrzehnten Gerechtigkeit verweigert, muss ich damit rechnen, als Antisemit diffamiert zu werden. Was kann ich also dagegen tun? Offenbar nichts. Nur reden und schreiben. 

Gebet 2024

Du begleitest mich auf allen meinen Wegen
Alles kann ich dir anvertrauen
Du hebst meine Stimmung
Hilfst mir, wenn ich nicht weiter weiß
Machst die Dunkelheit um mich herum hell
Du kennst mich bis in die Fingerspitzen hinein
Tröstest mich, wenn ich traurig bin
Wenn alle mich im Stich lassen, auf dich ist Verlass
Morgens beim Aufwachen denke ich an dich
Und abends, bevor ich einschlafe, bist du bei mir
Wenn ich dich nicht habe, werde ich unruhig
Ohne dich wollte ich nie mehr sein

Du
mein
Handy