Wohl allen
die auf Solarenergie setzen
Heute
eine Tankfüllung gratis
Treue zur Tradition
Wenn ich vor mehr als dreißig Jahren als Student mit dem Rad in die Stadt fuhr, musste ich mir die Straße (die alte Bundesstraße) mit den Autos teilen, die mit mehr als 70 km/h an mir vorbeibretterten. Auf dem Rückweg konnte ich immerhin auf einen schmalen Gehweg ausweichen, der von Schlaglöchern durchsetzt war.
Zum Glück haben wir nun schon seit Jahren eine grün geführte Landesregierung: Wenn ich heute mit dem Rad auf derselben Straße unterwegs bin, rauscht das eine oder andere E-Auto an mir vorbei – mit deutlich mehr als 70 km/h. Und während ich auf dem Rückweg den Löchern auf dem Gehweg ausweiche, sinne ich darüber nach, ob ich hier eines Tages mit dem E-Rolli entlangrumpeln werde …
Burnout global
Laborkraft:
Chef, schauen Sie mal, mein Reagenzglas ist am Kippen!
Chef:
Dann nehmen Sie einfach ein neues Universum!
Veränderungen
Ich find, unsr Gsllschangst ist in dr Pangstdmi angstrs gwordn. Wangst mir fhlt? Di Lichtigkit zu lbn, di vrmiss ich shr. Stangstdssn hangst twangst um sich ggriffn, wangst mir Sorg britt. Odr ist dangst nur min Indruck?
Die Divinisierung des Humanum – wider die Vergötzung des Menschen
Die Urkränkung des Menschen besteht darin, dass sich die Welt nach seinem Tode weiterdreht. Meine Welt vergeht, die Welt bleibt. Mit dieser Kränkung konnte solange verhältnismäßig gut umgegangen werden, wie es einen Konsens darüber gab, dass uns nach dieser Welt eine andere erwartete. Fällt der Glaube an eine Transzendenz weg, wird es ungleich schwerer, mit dieser Begrenztheit zu leben.
Die jüdisch-christliche Tradition setzt diese Erkenntnis an den Anfang ihrer Gedanken über die Welt, wenn sie davon spricht, dass der Mensch wieder zur Erde zurückkehrt, von der er genommen ist. Auf der anderen Seite erfährt der Mensch mit dem Prädikat “Ebenbild” Gottes eine Aufwertung, die ihn von allen anderen Geschöpfen abhebt und beinahe blasphemisch dünkt.
Zwischen diesen beiden Polen, himmlisch und irden – der Mensch wird aus einem Erdkloß geformt wie ein Gefäß unter der Hand des Töpfers –, bewegt sich menschliches Leben.
Vergänglichkeit im Sinne eines Nacheinanders der Generationen, die alle von dieser Erde leben müssen, ist heute weithin akzeptiert. Die Antwort darauf heißt Nachhaltigkeit. War diese im vorindustriellen Zeitalter beinahe noch automatisch gegeben, weil der vormoderne Mensch nicht in der Lage war, die Erde zu ruinieren (partielle Zerstörungen wie z.B. durch massive Rodungen oder Bergbau ausgenommen), musste sie unter dem Eindruck globaler Ausbeutung und Zerstörung erst wieder entdeckt werden.
Der Lernprozess hinsichtlich der Vergänglichkeit des individuellen Lebens steht in den westlichen Gesellschaften allerdings noch aus. Es ist eines, Nachhaltigkeit umweltpolitisch durchzubuchstabieren, ein anderes, zu akzeptieren, dass das eigene Leben begrenzt ist. Die an dieser Stelle übliche Verweigerungshaltung hat zur oft beschriebenen Verdrängung des Todes aus der Gesellschaft geführt, die durch die Corona-Pandemie freilich einen deutlichen Dämpfer erlitt: Medien veröffentlichen täglich Todeszahlen – deren Aussagefähigkeit gering ist, was jedoch ihre psychologische Wirkung nicht schmälert. Statt sich deshalb mit der eigenen Endlichkeit bewusst auseinanderzusetzen, wird im Fahrwasser der üblichen Verdrängungsstrategie versucht, um sich herum ein Maximum an Sicherheit herzustellen, das genau diesen Ausgang – das eigene Ende – unmöglich macht. Entsprechend wird von der Politik erwartet, diese müsse alles dafür tun, um das Individuum vor seinem Tod zu schützen. Auch wenn das Groteske und Naive dieser Haltung auf der Hand liegt – die politischen Implikationen sind nicht zu unterschätzen: Diejenigen, die von diesem Verdrängungsmechanismus getrieben sind, artikulieren sich lautstark und besetzen die Mainstreamposition derzeit erfolgreich mit ihren Ängsten. Dabei wird eine apokalyptisch aufgeladene Bedrohungskulisse aufgebaut, die in dieser Weise nicht existiert, um anschließend “unter Einhaltung der Hygieneregeln” eine Sicherheit zu suggerieren, die erst recht nicht existiert.
Unterstützt wird diese Haltung durch das noch weithin gültige Selbstverständnis einer Medizin, die den Tod als Versagen ärztlicher Kunst interpretiert und an der Lebensverlängerung als grundsätzlich unhinterfragbarem Therapieziel festhält.
Andererseits eignet dem Tod etwas Irritierendes und Verstörendes. Geht man davon aus, dass jeder Mensch durch sein Denken und seine Erfahrungen seine eigene Welt ‘erschafft’, dann endet mit jedem Tod eine ganze Welt, ja ein ganzes Universum. Es lohnt sich, aus dieser Perspektive des Reichtums einmal über die ‘Verschwendung’ des Lebens durch den Tod nachzudenken …
Ja, wir sind einzigartig. Doch eine Bestimmung unserer Einzigartigkeit ist unsere Endlichkeit, unsere Beschränkung auf eine bestimmte Phase in der Zeit und einen Ort im Raum.
Diese Endlichkeit zu verdrängen und zu bekämpfen heißt auf Kosten anderer zu leben, die dann den Preis für die vermeintliche Sicherheit zu zahlen haben. Es heißt aber vor allem, den Menschen zu vergötzen, so dass er am Ende sein menschliches Antlitz verliert. Wir sind Menschen – und dazu gehört, dass wir sterben müssen und sterben dürfen. Die Alternative ewig zu leben wäre das größere Übel …
Pecunia non olet (Geld stinkt nicht)
Hi, Mr. Clooney
pisst es Sie an
dass Sie auf Displays
von Urinalen
die Kaffeetasse hochhalten?
Alt aussehen an Neujahr ;-)
Ein Mittfünfz‘ger prüft seine Falten:
“Die will ich nur ungern behalten!“
Und gleich an Neujahr –
es war wunderbar -,
da wurden die Falten zu … Spalten!
***
Grand Canyon ist meine Vision,
schon jahrelang träum’ ich davon.
Doch steh ich vor’m Spiegel,
ich geb‘ Brief und Siegel,
dann ist mir, als säh’ ich ihn schon.
Mysterium
Der Zug rollt aus der Millionenstadt hinaus, vorbei an Hochhauszügen, Hunderte von Lichtern in der Dunkelheit. Wie viele Leben allein hier, verschränkt oder nicht verschränkt, sich kreuzend oder nicht, einander gleichgültig oder abhängig voneinander. Der Zug rollt weiter, und mein inneres Auge zoomt aus dem Bahnhofsviertel hinaus und die ganze Stadt kommt in den Blick, dann das Land mit Tausenden von Städten, Dörfern: Millionen von Leben, parallel, überlappend mit dem Millionenfachen an Vernetzungen. Und dann erst die acht Milliarden, auf die wir zugehen (oder die wir vielleicht schon überschritten haben, wer vermag das schon zu sagen?)!
Ich muss zugeben: Schon der Anblick eines einzigen Friedhofs mit seinen scheinbar unzähligen Grabsteinen überfordert mich, ruft ein Universum von Biographien auf, das mit dem Verstand nicht zu fassen ist.
Sieh es, wie du es willst, dreh es, wie du’s magst, es bleibt ein Mysterium. Das Leben. Die Welt. Alles.
Wie Satan ein Teil von Gott wurde
Es ist eine der Grundfragen, die allen Religionen gemeinsam ist, welche die Vorstellung eines göttlichen Wesens teilen: Woher kommt all das Schreckliche, das Menschen geschieht, wenn es einen Gott gibt? Warum lässt Gott das zu?
Die jüdische Tradition widmet dieser Frage in ihrer Bibel, die Christen das Alte Testament nennen, ein ganzes Buch. Es wirft die Frage auf, warum ein Mensch leiden muss, obwohl er sich in seinem Leben in vorbildlicher Weise als gerecht und fromm erwiesen hat. Da es unmöglich erscheint, dass Gott hinter seinem schrecklichen Schicksal steht – der Protagonist Hiob verliert neben all seinem Besitz und seinen Kindern schließlich auch noch seine Gesundheit -, wird in der Rahmenhandlung des Buches die Person des Satans eingeführt. Er erklärt die Frömmigkeit Hiobs damit, dass dieser von Gott bisher nur Segen empfangen habe. Ziehe jedoch Gott seine schützende Hand ab, werde Hiob vom Glauben abfallen und ihm ins Angesicht fluchen. Gott lässt sich zu dieser ‘Wette’ hinreißen und willigt ein, dass der Satan Hiob alles nehmen darf – nur sein Leben muss er schonen. Und schon treffen die sprichwörtlichen Hiobsbotschaften ein: Hiobs riesige Herden werden gestohlen oder kommen um, seine zahlreichen Kinder werden von einem Festzelt erschlagen und er selbst muss sich schließlich mit einer üblen Krankheit plagen. Das Leben ist ihm ein einziges Leiden geworden.
In dieser Rahmenhandlung sind Gott und Satan getrennt: nicht als zwei ebenbürtige Widersacher, wie die volkstümliche christliche Tradition es später oft verstehen wird, sondern in Subordination: der Satan ist Gott untergeben, er gehört zu den “Gottessöhnen” – himmlischen Wesen, die den orientalisch gedachten Hofstaat Gottes bilden. Allerdings besitzt er eine gewisse Teilautonomie und führt deshalb bis zu einem bestimmten Grad ein Eigenleben. Was der Satan Hiob antut, um ihn auf die Probe zu stellen, kommt deshalb nicht aus Gottes Entschluss, wohl aber wird es ihm von höchster Seite ausdrücklich gestattet, solange eine bestimmte Grenze nicht überschritten wird. Damit wird das Böse in einer eigentümlichen Spannung zu Gott beschrieben: Gott will es (eigentlich) nicht, aber er verhindert es auch nicht. Die Motivation dafür, den Menschen mit Leid zu überziehen, wird gewissermaßen aus dem Wesen Gottes ausgelagert. Das Böse kommt nicht direkt von Gott, auch wenn er es zulässt. Woher es letztlich kommt, bleibt in der Schwebe. Und was prima vista wie ein perverses himmlisch-diabolisches Spiel auf dem Rücken eines geprüften Menschenkindes anmutet, ist in Wirklichkeit theologischer Kniff, um das Böse nicht als unmittelbaren Ausfluss göttlichen Willens beschreiben zu müssen. „Ohne Grund hast du mich bewogen, ihn zu verderben“, hält Gott dem Satan vor, als Hiob sich nach der ersten Attacke bewährt und unbeirrt an seinem Glauben festgehalten hat. Gott bleibt der Regisseur des Stücks, dessen unvorhergesehene Wendung ins Tragische allerdings dem Kopf des Regieassistenten entspringt, der austesten will, ob die Protagonisten ihr wohlgefälliges Spiel auch unter extremen Bedingungen fortsetzen. Der Regisseur lässt ihn gewähren, nicht ohne sich selbst ein Stück weit davon zu distanzieren: Er hatte ein happy end geplant.
Am Ende des Buches, nach langatmigen Dialogen zwischen Hiob und seinen Freunden, die ihm vergeblich Flecken auf seiner weißen Weste nachweisen wollen, da Gott nur den Ungerechten strafe, nimmt die Geschichte noch einmal Fahrt (im doppelten Sinn) auf. Auf einer virtuellen Reise durch das Universum, auf der die milliardenfachen, undurchschaubaren Vernetzungen dieses Systems in den Blick kommen, begreift Hiob schließlich, dass er dieses Zusammenspiel nie begreifen wird: sein Hirn ist dafür schlicht zu klein. Infolgedessen lässt er ab von seinem Wunsch, Gott vor Gericht zu ziehen, und verfällt in ein andächtiges Staunen, das jenseits aller subjektiven Leiderfahrung angesiedelt ist. Der Erklärungsversuch von Hiobs Freunden – es leidet nur, wer zuvor schuldig geworden ist – wird ausdrücklich kritisiert: Hiob war tatsächlich gerecht – dennoch wurde ihm dieses Schicksal zugedacht.
Nun müsste es eigentlich zum abschließenden Showdown zwischen Gott und Satan kommen mit der Frage, wer diese Wette am Ende gewonnen habe. Doch der Satan taucht in der Rahmenerzählung, an die das Ende des Buches anknüpft, gar nicht mehr auf. Und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Es gibt ihn nicht (mehr). Zu Beginn der Erzählung war er eingeführt worden als Ausdruck eines Glaubens, der Gott ausschließlich als für das Positive zuständig denken kann und das Destruktive deshalb zumindest partiell auslagern muss. Am Ende des Buches hat sich Hiobs Gottesbild jedoch gewandelt: Er begreift, dass Gott nicht einfach die Macht ist, die ihm die Hindernisse aus dem Weg räumt und für sein Wohlbefinden sorgt. Das, was Gott genannt wird, ist komplexer, vielschichtiger, auch abgründiger, als wir uns gern vorstellen möchten. Luther sprach an dieser Stelle vom verborgenen Gott (deus absconditus), gewissermaßen die Rückseite des Gottes, der sich als liebend offenbart hat (deus revelatus). Gott ist nicht nur das Positive, er beinhaltet auch das andere. Gott ist … alles. Deshalb gibt es am Ende des Hiobbuchs keinen Platz mehr für den Satan – er hat seine Rolle in diesem Stück verloren. Was immer Hiob widerfuhr und noch widerfahren wird – auch der Segen, der nach seinem Unglück ein zweites Mal über ihm ausgegossen wird: Es kommt alles von Gott. Nebenbei bemerkt: in diese Richtung zielt auch der Hinduismus, in dessen Pantheon es Götter für alles und jedes gibt. Darunter auch Shiva, der/die zerstört und neu erschafft.
Ob dieses Gottesbild plausibel ist oder bis zu welchem Grad, ist weniger eine theoretische denn eine praktische Frage: Kann ich das lieben, was mich auch zerstört? Und noch schärfer: Was, wenn mir ‚das Böse‘ in einer derart ‚satanischen‘ Gestalt begegnet, die von Grund auf allem widerspricht, was ich als gut erkannt habe und wofür ich mich einsetze? Wird mein Kampf für das Gute dann nicht gleichgültig, wenn für Gott alles gleich gültig ist, Manövriermasse im undurchschaubaren kosmischen Spiel der Kräfte? Also doch lieber den Satan vom Job-Center abholen und wieder an seinen alten Arbeitsplatz setzen? Und ungeklärt lassen, was nicht zu klären ist?
Über Angst lässt sich nicht streiten (2)
Dass unsere Gesellschaft den Tod verdränge, hielt ich bis vor kurzem für ein Klischee, griesgrämigen Theologenhirnen entsprungen, um mit erhobenem Zeigefinger auf die weit verbreitete Diesseitsorientierung hinzuweisen. Seit der Corona-Pandemie glaube ich mehr und mehr: Die Theologenhirne haben Recht.
Über Angst lässt sich nicht streiten (vgl. Teil 1 zu diesem Thema) – wohl wahr! Aber was steckt hinter dieser Angst, vor der die deutsche Gesellschaft mit ihrem politisch-hygienetechnischen Feuerwerk, das mir in Teilen unlogisch, maßlos und/oder ineffektiv erscheint, in die Knie geht? Wie bringt es dieses Virus fertig, dass manche Menschen, hoch in den Achtzigern, sich in freiwillige Isolation begeben und ihr Haus nicht mehr verlassen, direkten Kontakt sogar zu Verwandten (Enkeln, Kinder) meidend – wieder einmal mit Aussicht auf ein Weihnachten allein? Natürlich: Es gibt auch die alte Witwe, die beim 85. Geburtstag der Busenfreundin aufschlägt und sagt: Wer weiß schon, ob wir in unserem Alter den nächsten noch erleben werden? Aber ich muss zugeben: Der hochbetagte Kollege, der sich in seiner Wohnung verschanzt, irritiert mich …
Ist es einfach die Angst vor dem Tod, die nicht ausgelöst sein kann durch eine massive Übersterblichkeit der letzten beiden Jahre, die es nicht gegeben hat (wer seine Zweifel daran hat, informiere sich bei den offiziellen Zahlensammlern der Nation, auf der Seite des Statistischen Bundesamts), aber seit Beginn der Pandemie medial evoziert wird durch die tägliche Veröffentlichung von Todeszahlen, die seriöse Rückschlüsse nur schwer zulassen? Sind es die gehäuften Schlagzeilen von überfüllten Intensivstationen – u.a. angeheizt vom baden-württembergischen Gesundheitsminister Lucha, der vom “brutalen Sterben” sprach, als vollziehe sich das Sterben auf Intensivstationen außerhalb von Corona hübsch ruhig und unauffällig – kein Wort davon, dass sich der dort herrschende Pflegenotstand einer seit Jahren ‚brutal‘ unfähigen Politik verdankt. Ist es der Eindruck, in diesem Virus einer Macht zu begegnen, die nicht kontrollierbar ist – als seien Krankheiten ansonsten allesamt kontrollierbar? Mir erscheint es manchmal so, als vereine dieses Virus für manche alles Lebensfeindliche und Destruktive im Universum in sich – als gäbe es keine anderen Gefährdungen, ja, als hätten wir vor Corona in einer sicheren Idylle gelebt und seien nun schlagartig einer extremen Gefährdungssituation ausgesetzt. Das eine ist so falsch wie das andere.
In einer neurologischen Klinik stolperte ich auf einem Stationsflur über den Text eines Plakats: “Einen Schlaganfall kriegen nur ganz alte Leute. [Neue Zeile] So ab 29.” Was für ein Schlag, so ein Schlaganfall! Der jede/n jederzeit treffen kann. Was wir völlig zu Recht verdrängen, weil wir sonst nicht leben könnten, da es ja daneben noch tausend andere Gefährdungen gibt, die uns um unser Leben oder zumindest um die Gesundheit bringen können. Aber nun beschwören manche eine Art paradiesischen Ante-Coronam-Zustand, den es noch nie gegeben hat und der allenfalls das Produkt konsequenter Verdrängung war.
Auf der anderen Seite steht das marginale Risiko, bei einer Infektion einen schweren Verlauf zu erleiden oder gar zu sterben, und – natürlich: die Betreffenden sind dann massiv davon betroffen. Trotzdem ist Covid nicht die Pest – das wurde in vielen medialen Äußerungen der letzten beiden Jahre, die sich z.T. in apokalyptischen Schilderungen gefielen, nicht immer hinreichend deutlich.
Ich glaube, es ist die Angst vor dem Tod, die unsere Gesellschaft derzeit fest im Griff hat. Besser gesagt: die Angst, dieses Leben früher loslassen zu müssen, als einem lieb ist, vielmehr: es überhaupt loslassen zu müssen. Die Berichterstattung über Corona hat Sterben und Tod aus ihrer Randexistenz herausgeholt, die sie im allgemeinen Bewusstsein innehatten, und unversehens zu einem gesellschaftlichen Thema erhoben – das hat die kurz zuvor geführte Debatte über assistierten Suizid nicht annähernd geschafft: Sie blieb, wiewohl sogar öffentlich im Bundestag geführt, abseits der Berufspolitiker und der wenigen akut Betroffenen auf ‚Berufsethiker‘ beschränkt.
Doch plötzlich erscheint der eigene Tod als reale Möglichkeit. Menschen können in unserer Zeit alt werden, ohne auch nur ein einziges Mal in ihrem Leben einen toten Menschen gesehen zu haben – und nun liefern ihnen Medien täglich Todeszahlen! Und die bislang geübte Verdrängung, durch die das eigene Ende de facto geleugnet oder – selbst bei Hochbetagten – auf einen Sankt Nimmerleinstag verschoben wird, funktioniert auf einmal nicht mehr und mutiert darüber zum Abwehrmechanismus: Alles, aber auch wirklich alles muss diese Gesellschaft unternehmen, um mir dieses Schicksal zu ersparen, um mir zu ersparen, dass ich sterben muss.
Dieser bis zum Exzess betriebene Schutz des Lebens ohne Rücksicht auf diejenigen, die den Preis dafür zahlen, entsteht aus der Unfreiheit dessen, der in Angst vor der eigenen Endlichkeit lebt. Unser Leben ist ein wunderbares, herrliches, einzigartiges Leben. Unser Leben ist ein gefährdetes, vergängliches, winziges Leben. Göttlich und elend. Und wie viele andere wichtige Dinge erfassen wir es angemessen nur, indem wir uns nicht daran klammern. Der paradoxe Satz des Nazareners „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren“, hat hier seine Berechtigung. Was ich unter allen Umständen in meiner geballten Faust festhalten muss, macht mich zu einem unfreien, ängstlichen Menschen. Aber weil ich nicht darüber verfüge, brauche ich mich nicht darum zu sorgen. Denn tatsächlich führe ich mein Leben, ob mir dies bewusst ist oder nicht, täglich im Angesicht des Todes. Sich das klarzumachen ängstigt nicht, sondern befreit. Und in diesem Bewusstsein LEBE ich! Das heißt Freiheit leben.
Rabbi Bunam sprach zu seinen Schülern: „Jeder von euch muss zwei Taschen haben, um nach Bedarf in die eine oder andere greifen zu können: In der rechten liegt das Wort: ‘Um meinetwillen ist die Welt erschaffen worden’, und in der linken: ‘Ich bin Erde und Asche.’“ (Aus den Chassidischen Erzählungen von Martin Buber)
Anders gesagt:
Ich will das Leben umfassen, als ob es kein größeres und schöneres gäbe.
Und ich will mich ebenso hin und wieder darin einüben, das Leben loszulassen, als ob es das kleinste und geringste wäre.
Nur: Über all das lässt sich tatsächlich nicht streiten. Das geht weiter, tiefer. Mehr Gespräch als Diskussion, eher über Transzendenz statt Inzidenz. Braucht es am Ende den Glauben an ein Leben nach dem Tod, um zu dieser Freiheit zu gelangen? Es ist gewiss leichter, wenn ich mich mit meiner Existenz in einem größeren Zusammenhang aufgehoben fühlen kann – aber zwingend nötig ist dieser Glaube nicht, um frei leben zu können.