Hüttenzauber

Gebimmel der Kühe
macht nächtlich mir Mühe
die Glocken sie klingen
da will nicht gelingen
der nötige Schlaf

So zähl‘ ich die Glocken
die Träume zu locken
ich zähl‘ wie besessen
es bringt nichts, stattdessen
zähl‘ ich jetzt Schaf‘

Wärmespeicher

Von diesen heißen Sommertagen
würd‘ ich gern einen übertragen
und seine ganze Wärme spür’n,
wenn mir vom Frost die Ohren frier’n

Zwei Welten

Letzte Unterrichtsstunde im Schuljahr
entspannt schlendere ich mit der Klasse
durch die Fußgängerzone Richtung Eisdiele

Ein Auto überholt uns im Schritttempo
auf dem Anhänger übereinander geworfen
schwarze Schaufensterpuppen

Drei ukrainische Schüler sind dabei
und plötzlich habe ich andere Bilder vor Augen,
auch darin kommen menschenähnliche Gestalten vor,
aber schwarz sind die Säcke, in denen sie stecken

Flexibel

An alles
gewöhnt sich
der Mensch

eine
seiner großen
Stärken

und
Schwächen

Immerhin fairer

Nicht besser
nur fairer waren
die Kriege
als die Herrscher noch selbst
mit dem Säbel in der Hand
hoch zu Ross
in die Schlacht stürmten

Heute sitzen
sie zivilisiert
mit der Kaffeetasse in der Hand
an langen Tischen
während sich ihre Soldaten
ganz unzivilisiert
totschießen

Putinversteher

Ein neues Feindbild  ist geboren: “Putinversteher”. Bin ich ein Putinversteher, weil mir aufstößt, wie der Westen jegliche Mitverantwortung für den Krieg Russlands gegen die Ukraine brüsk von sich weist? Bin ich ein Putinversteher, weil ich es schon erstaunlich finde, wie weit sich die NATO seit dem Kalten Krieg nach Osten vorgeschoben hat? Bin ich ein Putinversteher, weil ich ein legitimes russisches Sicherheitsinteresse erkenne, das sich gegen Raketen vor der eigenen Haustür wendet?

Werde ich jetzt von manchen – wie aufgrund meiner kritischen Haltung in der Corona-Pandemie – in Richtung AfD gerückt und diffamiert, weil ich mich darüber wundere, wie in den Wochen vor dem russischen Angriff zwar diplomatische Hochbetriebsamkeit herrschte, der Westen meiner Kenntnis nach aber zu keinem Zugeständnis bereit war und dem russischen Diktator damit die propagandistische Steilvorlage für einen Krieg lieferte, in den man selber nicht einzugreifen gedenkt?

Ich kontere mit einem Gegenbegriff, der auch noch nicht allzu alt ist: dem der “Blase”. Ja, ich finde, auch der Westen ist in einer Blase gefangen. Es braucht Menschen, die jenseits der Blase denken und dann Handlungsalternativen finden.

Was rein gar nichts daran ändert, dass dieser Krieg von A bis Z verbrecherisch ist. Ich sage das für alle Fälle, bevor mir jemand vorhält, dass ich das doch zuallererst hätte sagen müssen. Als ob es darüber einen Zweifel geben könnte.

Nette Menschen

Ich höre oft Russisch. In der Stadt von 50.000 Einwohnern, in der ich arbeite, leben zweitausend Russen. In der Fußgängerzone und den Parks gehört das Russische zum normalen Klangbild.

Ich stelle mir vor, wir würden Krieg miteinander führen, also natürlich nicht der freundliche Russe im Café am Nachbartisch und ich, sondern unsere Länder. Denn warum sollten wir beide uns bekriegen? Juri, ein Familienmensch, der sein quengelndes Kind aus dem Wagen nimmt und es sich auf den Schoß setzt. Beide sind wir sicher ziemlich nette Kerle und könnten bei gegebener Gelegenheit vielleicht sogar ziemlich beste Freunde werden.

Sein Geld hat Juri in der IT-Branche gemacht. Die von seiner Firma entwickelte Software steckt maßgeblich in den neuen Überschallwaffen, die von der russischen Armee auf Ziele in der Ukraine gelenkt wurden.

Meine Frau arbeitet für ein Logistikunternehmen, das die Fliegerhorste der deutschen Luftwaffe versorgt, u.a. jenen, wo die letzten Atomwaffen in der BRD stationiert sind, die im „V-Fall“ (Verteidigungsfall) von deutschen Tornados im Auftrag der NATO abgeworfen werden.

Im Fall der Fälle würden der nette Juri vom Nachbartisch und ich dann indirekt doch aufeinander schießen – auch wenn wir uns noch vor ein paar Tagen angeregt und ziemlich einvernehmlich über Lust und Last der Kindererziehung unterhalten haben.

Juri, der nicht Juri heißt, verdient sein Geld wie meine Frau anderswo. Aber das Gedankenspiel führt doch überdeutlich die Absurdität des Krieges vor Augen. Und, dass es leider nicht reicht, ein netter Mensch zu sein.

Widerstand

Tag für Tag tingelt der ukrainische Präsident derzeit virtuell durch die Parlamente. Mal gibt es standing ovations (Italien), mal wird sein Vergleich mit dem Nationalsozialismus kritisiert (Israel), mal werden (ebenfalls nach standing ovations) anschließend Geburtstagsgrüße verteilt (Deutschland).

Keine Frage: Selenskyj vermittelt das Bild, die Menschen in der Ukraine fühlten sich v.a. von ihren europäischen Nachbarn im Stich gelassen – trotz der Sanktionen, trotz der umfassenden Hilfsmaßnahmen für die Zivilbevölkerung auf der Flucht, trotz manch anderer Unterstützung. Er wünscht sich Unterstützung der ukrainischen Armee: massive Waffenlieferungen, die Einrichtung einer Flugverbotszone etc. Was die NATO-Staaten in der Angst vor einer weiteren militärischen Eskalation nicht tun. 

Ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht? Gibt es wirklich nur das letzten Endes tatenlose Zuschauen oder die gewaltsame, unkalkulierbare Intervention?

Seit Beginn des Krieges werbe ich für einen dritten Weg: den des gewaltlosen Protests: es ist der, den Teile der Bevölkerung in der südukrainischen Stadt Cherson gegen die russischen Besatzer praktizieren: Tag für Tag gehen sie auf die Straße, gewaltlos, aber mit deutlichen Worten: “Geht heim!” rufen sie den Besatzern zu. Die wehren sich mit Tränengas.

Was wäre, wenn die Ukrainer ihre Waffen ablegten, nicht aber ihren mutigen Geist des Widerstands, und der Okkupation auf der Straße entgegenträten – als Massenbewegung von Hunderttausenden? Als ziviler Widerstand, die Zusammenarbeit auf allen Ebenen verweigernd und unermüdlich den Abzug der Besatzer fordernd?

Und was, wenn ihnen Menschen aus anderen Ländern dabei zu Hilfe kämen, jetzt schon, sich sammelten zu einem großen friedlichen Marsch unter den Augen der Weltöffentlichkeit, eine tausendfache Anklage, ja mehr noch, ein einziger Ruf nach Frieden?

Ich werbe noch immer dafür und glaube, dass Worten mutige Taten folgen können. 

Sand im Getriebe

Der Saharasand
wird umgeleitet
nach Osten
verstopft die Getriebe
der Panzer

Was
wenn wir
dieser Sand wären

Unsere Gedanken
Worte
Taten?

Das Leben ist sch…

Sage mir, wie du diesen Satz beendest, und ich sage dir, wer du bist. Zu einfach, um wahr zu sein?

„Ist das Leben nicht schön?“, zwitschert es von der Fichte in unserem Garten herab. Nicht apodiktisch, nicht aufdringlich, sondern Zustimmung heischend, auf Einverständnis aus. Ja, das Leben ist schön! Wäre es das nicht, warum sollten wir gegen einen Krieg aufstehen, der das Leben auf so vielerlei Weise tötet?

Und wie schön das Leben ist, in diesem Augenblick, wo ich das Privileg genieße, mit einem Kaffee auf der Terrasse in der Sonne zu sitzen und mein einziges Problem darin besteht, zu entscheiden, ob ich meine Jacke ausziehe oder anlasse!

Und im selben Augenblick stimmt „Das Leben ist scheiße!“, und dieser Satz  gilt vielleicht weniger für die 94-jährige Zoe Burdoj , die sich mit vierzehn  als Jüdin in Charkiw vor den Nazis verstecken musste und die nun wieder geflohen ist, als vielmehr für die Kiewer Kinder, denen die Nächte in U-Bahnhöfen einen dunklen Schleier über die Seele legen.

Manchmal kommen „scheiße“ und „schön“ zusammen – wie bei der alten Zoe, die jetzt von dem Land aufgenommen wurde, dessen Schergen 80 Jahre zuvor ihre Eltern ermordet hatten. Dieser Tage ist sie in Heidelberg angekommen.
(Rhein-Neckar-Zeitung 12./13.03.2022, 8)