Rigoletto und die Taliban

Ein Vater will die Schande tilgen, die der Liebhaber seiner ledigen Tochter über die Familie gebracht hat, und heuert dazu einen Auftragskiller an. Der schwanzgesteuerte Täter, der seine Machtposition missbraucht, um alles zu ficken, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, soll als Strafe für seine Unmoral ins Jenseits befördert werden, damit die verletzte Ehre (am ehesten des Vaters, nicht der Tochter) wiederhergestellt ist.

Philipp Stölzl inszeniert den Ehrenmord des 19. Jahrhunderts an diesem schwülen Sommerabend auf der Seebühne in Bregenz als akrobatisches Spektakel (Verdi wäre “Bravi! Bravi!” schreiend durch die Ränge gelaufen), das augenzwinkernd Anleihen von “King Kong” bis zum “Planet der Affen” nimmt: die technisch stupend realisierte Verwechslungsposse als grotesker Nachhall einer kaum noch glaubbaren, primitiven Vergangenheit.

Es ist der Abend, an dem die Taliban in Kabul einrücken und die Kontrolle über das Land an sich reißen, dessen Freiheit so viele am Hindukusch verteidigen wollten.

Aus den Boxentürmen auf der Bühne rollt Gewittergrollen heran, während einige Zuschauer ihre Köpfe besorgt zu den Bergen wenden, wo in diesem Augenblick ein echter Blitz über den Himmel zuckt.

Werden Mädchen nun wieder aus den Schulen verbannt und Frauen, die die Ehre ihrer Familien besudeln, indem sie sich dem jahrtausendelang verbrieften Besitzanspruch ihrer Eigentümer entziehen, bis zum Hals in der Erde eingegraben und zu Tode gesteinigt?

Vor dem riesigen Kopf auf der Bühne, der mit fortschreitender Eskalation des Geschehens, Rigolettos grassierende innere Desintegration abbildend, Augäpfel, Nase und schließlich die Zähne eingebüßt hat, schießen auf dem Höhepunkt des Dramas Wasserfontänen zu Blitz und Donner aus den leeren Augenhöhlen, als das Opfer statt des Täters den Stich ins Herz abbekommt. Die Rache fällt auf den zurück, dem die Rachlust die Sinne geraubt hat. Die Wasserbäche, die immer noch die Wangen hinab rinnen – sind es jetzt Tränen?

Um kurz nach sieben am nächsten Morgen bringt gegenüber unseres Hotels eine junge Frau im Business-Dress ihre Tochter in die KiTa, während in der Ferne der letzte Donner grollt – das Gewitter ist vor Tagesanbruch niedergegangen. Es war nicht das letzte.