Ist die Menschheit lernfähig?

Dass der Mensch an sich fähig ist, dazuzulernen, werden die meisten wohl schon mit Blick auf ihre eigenen Lebenserfahrungen bestätigen. Wie aber sieht es mit den Menschen aus? Ist auch das Kollektiv in der Lage, dazuzulernen?
Drei Beispiele aus den letzten Jahrzehnten belegen eindrucksvoll, dass dies sehr wohl möglich ist.

1. Beispiel: Noch vor dreißig Jahren gab es Bio-Produkte fast ausschließlich in Reformhäusern und fair Gehandeltes nur in Dritte-Welt-Läden. Inzwischen halten alle großen Discounter ein wachsendes Bio- bzw. Fairtrade-Sortiment vor.

2. Beispiel: Vor fünfzig Jahren hatte das Wasser vieler Flüsse eine derart schlechte Qualität, dass Baden verboten war. Heute lässt sich in vielen Flüssen wieder ohne Gesundheitsgefährdung baden.

3. Beispiel: Seit 2014 steigt der Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt kontinuierlich an und soll laut Bundeskanzler Scholz sogar über 2% hinauswachsen.

Wenn Sie das Gefühl haben, an dieser Reihe stimme etwas nicht: mir geht es ebenso.

Unterwegs

I

Kein E-Bike
fahren
Kinder
Sozial Schwache
Sportskanonen

II

Auf dem Land
fahren mit dem Bus
Schulkinder und Jugendliche
Alte (Frauen)
Sozial Schwache 

III

Mit dem SUV
fährt
niemand
der nicht auch in ein kleineres
Auto passen würde

Geht gar nicht

Derzeit hat eine kleine, aber sehr kompetente Gruppe ihre Berufung darin erkannt, unsere Gesellschaft darüber aufzuklären, was man (noch) sagen bzw. schreiben darf und was nicht. Z.B „man“ darf man auf keinen Fall mehr verwenden, weil damit nur Männer gemeint sind, weshalb ich es hier nicht mehr gebrauche.

Als ich vor kurzem, auf dem Rad unterwegs, an einem Ortseingang das Schild sehe: „Fahr vorsichtig! Es könnte auch Dein Kind sein!“, fällt meinem geschulten Auge sofort auf, dass das natürlich gar nicht geht. Es gibt nämlich eine ganze Menge Menschen, die sich hiervon überhaupt nicht eingeschlossen fühlen würden und spontan protestieren könnten:
Vielleicht wollte ich nie ein Kind. Vielleicht wollte mein Partner oder meine Partnerin kein Kind. Vielleicht konnte ich kein Kind kriegen. Vielleicht habe ich kein Kind mehr, weil es gestorben ist. Vielleicht habe ich noch kein Kind, weil ich zu jung bin.
Mir war deshalb sofort klar: Das Kind kann da unmöglich stehenbleiben. (Was nur für das Schild gilt, nicht für die Straße, denn ich finde, Kinder sollten das Recht haben, überall stehenzubleiben, wo sie wollen – soviel Autonomie muss sein.)

Was außerdem gar nicht geht: „Dein Kind“ ist viel zu vereinnahmend, es zementiert spätkapitalistische Besitzansprüche. Kinder sind nicht unser Eigentum! Das gilt natürlich nur für die, die Kinder haben (es ist mir wichtig, das zum Ausdruck zu bringen!).
Ganz zu schweigen davon, dass die zwei Personen auf diesem Schild eindeutig zwei Geschlechtern zugewiesen werden, die es so gar nicht gibt. Obendrein hat die Person, die ein „Mädchen“ darstellen soll, auch noch rote Haare und Pippi-Langstrumpf-Zöpfe – diese klischeehafte Festlegung, die möglicherweise noch Anleihen bei einem vormodernen Hexenstereotyp nimmt, verstößt eindeutig gegen die Menschenwürde.  

Überhaupt: Warum werden hier wie immer Menschen bevorzugt und Tiere außen vor gelassen? Tiere können schließlich auch überfahren werden, ist das etwa weniger schlimm? Ein eindeutiger Fall von Rassismus, wenn Tiere nicht erwähnt werden! Und am besten Pflanzen auch berücksichtigen, für den Fall, dass sich eine mal auf die Straße verirrt.

Ich beschließe, einen Protestbrief an die Gemeindeverwaltung zu schreiben. Dann sollte ich am besten aber gleich einen Alternativvorschlag machen. „Fahr vorsichtig! Es könnte ein Mensch oder Tier sein!“ Oder noch besser: „Es könnte etwas Lebendes sein!“ Das klingt richtig ausgewogen. Vielleicht ganz kurz: „Es könnte eine DNA sein!“ Ich bin richtig zufrieden über meinen Vorschlag, da krache ich in ein geparktes Fahrzeug. Bevor ich das Bewusstsein verliere, schießt es mir durch den Kopf: „DNA“ verstehen vielleicht nicht alle… 

Unterschiedliche Zugänge

Das Heu auf den Wiesen
duftet
kaum noch

Zu lange liegt’s
Zu trocken ist’s

Den Kühen taugt’s

(Man muss nicht alles
symbolisch verstehen)

Begrenzt

Es wäre absurd
ein wandfüllendes Gemälde
von einem Quadratzentimeter seiner Fläche her
zu beurteilen

von der Perspektive weniger Jahrzehnte her
die Welt und das Universum zu beurteilen
nicht minder

Schamlos

Bei entgegenkommenden Radfahrern
geht mein Blick
als erstes
unter die Gürtellinie.
Haben sie einen oder haben sie nicht?

Einen Akku

Ökologischer Umstieg leicht gemacht

87,74 EUR, so viel kostet der Hinflug nach Zadar (Kroatien). Ich will eigentlich nicht mehr fliegen, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, will nicht mehr die Ressourcen der Erde verschleudern und für ein paar lumpige Euro mit einem dreckigen Jet in den Urlaub düsen. Die gute Nachricht: Neuerdings gibt es wieder Nachtzüge, wahlweise als Liege- oder Schlafwagen buchbar. Die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) war mutig und hat eine Reihe von Zügen geordert, die Deutsche Bahn hat’s verschlafen bzw. hatte nicht den Mumm dafür. Seitdem boomt das Geschäft – fröhliche Wiederauferstehung der alten TEE-Züge (Trans-Europa-Express). Von Stuttgart (bis dahin fahre ich quasi gratis mit dem Deutschlandticket) nach Rijeka zahle ich 92,60 EUR im Schlafwagen (Liegewagen wäre noch um einiges günstiger, ist aber nicht verfügbar, wahrscheinlich stapeln sich da bereits Leute meines Kalibers in den dreistöckigen Kojenbetten). Die Rückfahrt dann nochmal 92,60 EUR. Eigentlich nicht teuer, wenn man die lange Strecke bedenkt. Und Frühstück gibt’s auch noch dazu! Bis jetzt ist der Flug allerdings noch günstiger, aber das ändert sich sicher, wenn ich nach dem Rückflug schaue: dort wird nämlich immer abkassiert. Der Rückflug eine Woche später: 24,59 EUR!!!

Ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich verarscht. Ich will die Umwelt schonen, brauche einen geschlagenen Tag länger (plus Zwischenübernachtung) und am Ende steht es auch noch 112,33 EUR zu 185,20 EUR für den Flieger! Zu allem Überfluss benötigt der Nightjet momentan für die Strecke auch noch 15 statt 12 Stunden, weil es irgendwo in Österreich eine Baustelle zu umfahren gilt. Man muss fast schon ein fundamentalistischer Eiferer sein, um unter diesen Umständen auf die Bahn umzusteigen. Vielen Dank, liebe Politiker, dass ihr uns den ökologischen Umstieg so leicht macht! 

Wer Deutschland kennenlernen will, muss Bahn fahren

An den Beginn jeder Politprofikarriere würde ich ein Pflichtpraktikum setzen: eine Woche mit dem Deutschlandticket durch die Republik. Die schnellen Verbindungen wie z.B. ICE und EC/IC sind damit von vornherein ausgeschlossen, es bleiben diejenigen Verkehrsmittel, mit denen Menschen in unserem Land tagein, tagaus unterwegs sind: IRE, RE, RB, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Bus. Was die Politiker dort antreffen würden: einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung. Ethnisch, sozial und kulturell höchst divers.
Als Kind der 1960/1970er Jahre machte sich Diversität für mich, aufgewachsen in München, vor allem an der Existenz türkischer „Gastarbeiter“ und ihrer Familien fest. Und wenn ich an meine regelmäßigen Ferienjobs in der Fabrik zurückdenke, kommen noch einige Menschen aus südeuropäischen Ländern dazu. Gefühlt ist das allerdings weit entfernt von der Diversität, die ich heute erlebe.

Und ganz automatisch stellt sich die Frage: Wie kann es gelingen, dass Menschen aus so unterschiedlichen Traditionen in einer Gesellschaft zusammenleben, deren Werte und Maßstäbe im Grundgesetz verpflichtend festgelegt sind? Bassam Tibi (*1944), gebürtiger Syrer, hat schon vor über zwanzig Jahren angemahnt, es brauche in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern eine „Leitkultur“, um die Ausbildung von Fundamentalismus und Multikulturalismus (nicht zu verwechseln mit kultureller Vielfalt!) zu verhindern. Dafür wurde er vom links-alternativen Spektrum zerrissen und von den Rechten für ihre Deutschtümelei vereinnahmt. Fakt ist jedoch, dass eine demokratisch-liberal verfasste Gesellschaft auf Dauer nur dann lebensfähig ist, wenn eine verbindlich-verbindende Leitkultur im Sinne einer „Hausordnung für Menschen aus verschiedenen Kulturen in einem werteorientierten Gemeinwesen“ (Tibi) existiert.

Nun ist es eines, dies zu fordern, ein anderes, es zu fördern. Neben dem Spracherwerb, dessen Bedeutung gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann, spielen dafür m.E. Bildung und Arbeit eine wesentliche Rolle. Im gemeinsamen Lernen und Arbeiten werden genau diejenigen Werte eingeübt und umgesetzt, die unser Land ausmachen. Ein Grund mehr, warum Menschen, die mit der Perspektive eines dauerhaften Aufenthalts zu uns kommen, so rasch wie möglich auch in der Arbeitswelt ankommen müssen.

Perspektivwechsel

In der ZEIT habe ich gerade die Geschichte von Fatou gelesen, des ältesten Gorillas der Welt. Fatou, ein Weibchen, wurde 1959 in den Wäldern Zentralafrikas geboren, eingefangen und über eine französische Tierhändlerin im selben Jahr an den Berliner Zoo weitverkauft. Vielleicht hätte ich unter normalen Umständen weitergeblättert, aber ich bin für einen Kurzurlaub in einem Hotel und habe Zeit. In einem sehr schönen Hotel, um genau zu sein, mit Wellnessbereich und parkähnlichem Außengelände, wo ich nach dem Saunagang nur spärlich bekleidet unterwegs bin. Das Hotelrestaurant hat am heutigen Weißen Sonntag tausend Gäste, die sich nach ihrem üppigen Mahl im öffentlichen Gartenbereich verlustieren und neugierig zu mir herübersehen. Dass sie zu mir schauen, sage ich nicht aus Eitelkeit – ich bin gerade tatsächlich der einzige Saunagänger draußen. Mädchen in weißen Kommunionkleidern, Damen in Kostümen und Herren in dunklen Anzügen glotzen mich an, der ich nur eine schäbige Badehose entgegenzusetzen habe. 

Ich verschwinde rasch im kleinen Pool, merke allerdings schnell, dass auch der von außen einsehbar ist, als eine Frau mit Hut über das Gatter zu mir hereinlugt. Auf dem Kiesweg palavert eine Gruppe auf Französisch und deutet in meine Richtung. Bin ich etwa ein Pinguin im Bassin?

O Fatou – was hat man dir angetan!

Abituhr

Heutige Jugendliche besitzen keine Armbanduhren. In dem Moment, wo ihnen ihr Handy abhanden kommt, schweben sie in der Zeitlosigkeit. Was z.B. beim Abitur passiert, wenn alle digitalen Endgeräte abgegeben werden müssen.

So kommt es, dass am Morgen kurz vor Beginn der schriftlichen Prüfung in der Sporthalle das nervöse Surren eines Akkuschraubers den Raum erfüllt. Die große Hallenuhr musste kurzfristig abgenommen werden, weil sie zu schnell ging. Der Hausmeister ist gerade dabei, drei kleine analoge Uhren aufzuhängen.