“… das sage ich jetzt hinter vorgehaltener Hand…“ Wir kennen dieses Phänomen aus Ländern, wo es nicht ungefährlich ist, die eigene Meinung kundzutun. Zum Glück ist das bei uns anders, das Recht auf Meinungsfreiheit per Grundgesetz verbrieft. Bei uns darf jede/r sagen, was er/sie denkt. Oder?
Menschen, die mit ihrer Meinung nur hinter vorgehaltener Hand herauskommen, gibt es auch bei uns. Und sie werden mehr – eine subjektive Einschätzung ohne eine Studie im Rücken.
Political correctness heißt das Phänomen, das dazu (ver-)führt, dass Leute nur noch hinter vorgehaltener Hand sagen, was sie denken. „Bitte nicht zitieren!“
Meine Definition: Political correctness ist die Anpassung an eine bestimmte tatsächlich oder scheinbar mehrheitliche gesellschaftliche Auffassung, die sich selbst absolut setzt und keinen inhaltlichen Diskurs (mehr) zulässt.
Political correctness fordert, sich dem Mainstream zu unterwerfen und in den von ihm bezeichneten Bahnen zu bleiben, gesellschaftspolitische Axiome nicht zu hinterfragen und keinesfalls an gesetzten Feind- oder Freundbildern zu rütteln.
Wer sich dem widersetzt, wird diffamiert oder sogar mundtot gemacht. Auch bei uns.
Drei Themenbereiche, in den es höchst ungemütlich werden kann, gegen die political correctness zu verstoßen.
„Eigentlich hat er doch Recht, der Palmer“, sagt eine Ärztin hinter vorgehaltener Hand zu den jüngsten Äußerungen des Tübinger OBs, die eine verbale Steinigung auslösten. Die Möglichkeit ins Auge zu ziehen, dass Menschen über achtzig in nächster Zeit sterben könnten, erscheint derart unverfroren und ein Angriff auf die Menschenwürde, dass Bündnis90/Grüne den schwäbischen Rebellen am liebsten mit einem Parteiausschlussverfahren überziehen würde.
Wer die rigiden Anti-Corona-Maßnahmen der Bundesregierung in Zweifel zieht, wird medial schnell als Verschwörungstheoretiker oder verantwortungsloser Gesell abgestempelt. Und wer daran erinnert, dass auch die jetzigen Maßnahmen einen hohen Preis haben, muss sich vorwerfen lassen, nichts für den älteren Teil der Bevölkerung übrig zu haben – obwohl die Einschränkungen gerade alte Menschen durch die Kontaktsperre verheerend trafen (und treffen!).
Zweites Thema: Es gehört ebenso zur political correctness in Deutschland, sich jedweder Kritik an der Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern zu enthalten. Wer wie meine Generation die Gleichung Palästinenser = Terrorist mit der Muttermilch eingesogen hat (unvergessen der stoppelbärtige Yassir Arafat mit seinem Palästinensertuch), aber heute die Vorgehensweise der Regierung Netanjahu (z.B. die schleichende Usurpation von Palästinenserland durch Errichtung illegaler Siedlungen) anprangert und den Bau der Mauer sowie andere Maßnahmen als Apartheid bezeichnet, muss ein dickes Fell haben, wenn er postwendend als Antisemit diffamiert wird.
In einer evangelischen Landeskirche hagelte es seitens der Kirchenleitung Platzverbote für Veranstaltungen, zu denen israelkritische Referenten eingeladen waren. Und das in einer Kirche, die sich auf die Fahnen schreibt, einen liberalen Diskurs zu pflegen.
Und drittens das vielleicht heikelste Beispiel: Migration.
Eine Polizistin erzählt, wie auf Druck von oben Daten von Straftaten von Flüchtlingen und Tätern mit Migrationshintergrund nicht weitergegeben werden durften, um die Statistik zu schönen. Sie hat das Gefühl, dass hier etwas nicht richtig läuft, deshalb macht sie sich Luft, verärgert und natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.
Es geht an dieser Stelle nicht um eine Gesamtanalyse, sondern nur darum, aufzuzeigen, wie „gut gemeint“ mitunter das Gegenteil von „gut“ ist: Das ehrenwerte Motiv, Menschen bestimmter Gruppen zu schützen, führt dazu, der Bevölkerung Fakten vorzuenthalten, die die Akzeptanz von Flüchtlingen oder Menschen mit Migrationshintergrund möglicherweise beeinträchtigen könnte. Im Endeffekt zahlt sich diese Strategie nicht aus: Zum einen kommen die Fakten eines Tages doch ans Licht, zum andern treibt es Menschen, die sich zwangsweise dieser Strategie unterordnen müssen (wie die genannte Polizistin) um so eher in die Fänge extremer Gruppen, deren Sicht noch viel stärker ideologisch bestimmt ist.
Doch manchmal bewegt sich auch etwas: Wer noch vor wenigen Jahren auf die kriminellen und parasitären Machenschaften gewisser arabischer Clans hinwies, die sich durch Vortäuschung von Bedürftigkeit in großem Stil Sozialhilfe erschleichen und im „Hauptberuf“ kriminelle Netzwerke aufbauen, musste damit rechnen, pauschal als Rassist und reaktionärer Feind multikultureller Realität beschimpft zu werden. Inzwischen wurde das Problem von politischer Seite endlich erkannt und grünes Licht gegeben, um gegen die kriminellen Strukturen vorzugehen.
Was steckt psychologisch dahinter?
Menschen haben Angst, dass ihr überkommenes Weltbild destruiert werden könnte, das oft auf einer naiven schwarz-weiß-Sicht fußt: Hier die bösen Palästinenser, dort die guten Israelis (von denen 21% immerhin nichtjüdische Araber sind!). Hier die guten Migranten, dort die bösen Deutschen (zumindest diejenigen, die Multikulti nicht nur als Bereicherung sehen). Hier die gute Corona-Politik der Regierung, dort die bösen (verrückten/verantwortungslosen) Maßnahmengegner. Weltbilder nach dem Strickmuster eines James-Bond-Films.
Realistische Wahrnehmung, die sich nicht von Angst leiten lässt, vermeidet ideologische Kurzschlüsse und stellt tradierte Freund-Feind-Schemata in Frage. Die Wirklichkeit ist allemal komplexer als unser Wunsch nach Einfachheit und Sicherheit. Wir müssen den Diskurs suchen, statt ihn durch Diskreditierung zu vermeiden sowie wache Zeitgenossen zu verprellen. Uns der Zumutung stellen, dass einfache Wahrheiten in der Regel falsch sind und dass es mehr Kraft braucht, Widersprüche auszuhalten statt sie ideologisch wegzubügeln.
Keinesfalls würden damit die tradierten schwarz-weiß-Schemata auf den Kopf gestellt – das tun Extremisten, denen political correctness allerdings unnötigerweise Schützenhilfe leistet. Aber wir müssen immer wieder sorgfältig prüfen, ob die eigene Einschätzung möglicherweise aufgrund bestimmter interessegeleiteter Vorentscheidungen zustande gekommen ist.
Political correctness ist schlecht für die Demokratie. Sie trägt sogar – das sage ich jetzt hinter vorgehaltener Hand – faschistoide Züge.