Nun wird heute bundesweit der Corona-Toten gedacht. Gut gemeint, keine Frage, und gleichzeitig so hilflos. Aber nicht nur hilflos, das wäre zu einfach. Auch verzerrend.
„Jeder einzelne Tote ist auch eine schmerzliche politische Niederlage“, sagt die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Das klingt wieder einmal mehr so, als könnte mit den geeigneten politischen Mitteln und ihrer Umsetzung der Tod an sich aufgehalten werden. Ich höre dahinter das immer noch weithin gültige Selbstverständnis der Schulmedizin, jeden Todesfall als Niederlage der eigenen Disziplin zu begreifen. Gedenken als Kapitulationsveranstaltung? An dieser Stelle müssten wir alle einmal darüber ins Gespräch kommen, dass der Tod sich nur verzögern, aber nicht aufhalten lässt – weil jedem/r die Stunde schlägt. Diese eigentlich doch banale Erkenntnis bleibt in der gesamten Corona-Zeit wie hinter einem Schleier verborgen – eigentlich wissen alle, dass es da ist, aber niemand spricht darüber. Kann unsere Gesellschaft wirklich nur so überleben, indem sie das einzige Faktum, das von Beginn unseres Lebens an feststeht, so konsequent verdrängt? Und Menschen die Illusion gibt, wenn nur erst Corona beseitigt sei, sei das Leben wieder vollends gefahrlos geworden … so einmal der Kommentator meiner Tageszeitung, der meinte, mit Abschluss der Impfung könne das Leben völlig sorgenfrei und gefahrenlos weitergehen.
Neben der Verdrängung des Todes, dem diese Gedenkfeiern geradezu Aufschub leisten mit ihrer impliziten Botschaft, kommt die Verzerrung hinzu. Es war von Anfang an falsch, weil irreführend und demagogisch, von „Corona-Toten“ zu sprechen. Der Informationsgehalt dieser „Zahlen“ ist zu vernachlässigen, solange niemals geklärt werden kann, welche Rolle das Virus beim Sterben eines positiv getesteten Menschen gespielt hat. Die einzigen halbwegs aussagekräftigen Zahlen sind diejenigen, die sich aus der jeweiligen Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren gewinnen lassen. Verstört dabei zu sehr, dass in Deutschland an einem normalen Tag schon mehr als 2500 Menschen sterben? Oder dass die Übersterblichkeit, die vermutlich maßgeblich auf Corona zurückzuführen ist, durchaus vergleichbar ist mit der Übersterblichkeit bei einer starken Grippewelle? Zahlen von „Corona-Toten“ helfen niemandem, sie schüren nur die Angst in der Bevölkerung – ordentlicher Journalismus sollte damit besser gar nicht hantieren.
Und schließlich: Hilft es wirklich, wenn die sogenannten Corona-Toten nun besonders herausgehoben werden? Ist der Tod eines Menschen, der an Schlaganfall, Herzinfarkt, an Krebs oder am Alter (gibt’s nicht?) gestorben ist, qualitativ anders zu veranschlagen, dass dieser Toten nicht gedacht wird? Dürfen oder müssen Angehörige von „Corona-Toten“ mehr trauern, weil dieser Tod angeblich vermeidbar war? Müssen Gedenkfeiern nun die Würdigung und Fokussierung fortschreiben, die mediale Berichterstattung erzeugt hat, indem sie Corona zum unangefochtenen Dauerthema gemacht hat, wie dies seit dem 2. Weltkrieg kein anderes Thema geschafft hat?
Wenn ein Mensch (absehbar) stirbt, verabschieden wir uns. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe der Politik, es über Monate unterbunden zu haben gehört zum Bittersten, was Politiker in der Corona-Krise zu verantworten haben. Auch ein nationaler Gedenktag kann das nicht mehr einfangen.
Corona-Gedenktag (an Karl)
Nach der zweiten Impfung ging es ihm plötzlich schlecht. Sieben Wochen lang war er im Krankenhaus. Morgen dürfen seine drei Enkel ihn vielleicht noch einmal wenigstens sehen. Auf seiner Beerdigung.