Seit wir uns im Lockdown befinden, kommt mir immer wieder einmal die Situation von Strafgefangenen in den Sinn. Vielleicht nicht ganz abwegig. Wie leben sie mit den Einschränkungen, die im Vollzug gelten? Sozusagen Im permanenten Lockdown. Ausgangssperre 24/7.
Immer allein in einer Zelle. Einmal am Tag Ausgang für eine halbe Stunde. Ein Klischee, ja. Gefangenenleben in Deutschland 2021 sieht anders aus: Eine ganze Stunde Ausgang. In der Regel zu zweit auf der Zelle. Arbeit – nicht freiwillig, sondern verpflichtend, um Vater Staat einen Teil der Unterbringungs- und Verpflegungskosten zurückzuzahlen. Die Häftlinge können sich an der Knastkultur beteiligen (Theater, Musik, Gottesdienst etc.), sich mit anderen Insassen treffen, die Gefängnisbibliothek nutzen (Internet ist nicht erlaubt) und vieles mehr. Aber spätestens um 17 Uhr ist „Einschluss“ – Zeit genug, mit sich selbst allein zu sein und gegen äußere und innere Mauern anzurennen. Und sich an der bitteren Einsicht abzuarbeiten, nicht für und über sich selbst entscheiden zu dürfen.
Wie gehen Menschen damit um? Macht es sie seelisch kaputt oder stärker? Der Knast, erklärt mir ein Richter, ist für die wenigsten der Ort, um innerlich zu wachsen. Die meisten rutschen in Haftgewöhnung, geraten oft auch in die Fänge der Subkultur (z.B. in die hierarchische Struktur der Gefängnisgesellschaft mit ihren menschenverachtenden, wenig bekannten Auswüchsen). Und 40% werden binnen drei Jahren erneut zu einer Haftstrafe verurteilt. Summa: Im Gefängnis werden Menschen nicht besser. Zu dieser schlichten Erkenntnis war ich schon einmal gekommen, als ich im Studium ein Praktikum bei einer Initiative für Strafentlassene absolvierte.
Die Einschränkung als Dauersituation bewirkt nichts Positives. Aber was ist mit den Gefangenen der Corona-Krise? Menschen reagieren unterschiedlich. So wachsen manche Schüler im Lockdown geradezu über sich hinaus. Hochkonzentriert und strukturiert arbeiten sie und stellen sich ständig neuen Herausforderungen. Für sie wirkt die Krise wie ein Wachstumskatalysator. Aber es gibt auch diejenigen, die abtauchen oder abgehängt werden.
Ich gehöre zu den Letzten, die die gegenwärtige Krise schönreden, indem sie auf ihre lichten Seiten hinweisen: zu viele Schatten-Schicksale gibt es, meist im Verborgenen, fernab medialer Wahrnehmung. Trotzdem wäre es eine ideologische Engführung, positive Seiten zu leugnen – nur darf beides nicht gegeneinander aufgewogen werden. Es ist wie bei einem Krieg: Er richtet Entsetzliches an, und in seinem Schatten wächst und gedeiht manches, was sonst nicht zum Vorschein käme. So widersprüchlich ist diese Welt. Und doch vermag das Helle das Dunkle niemals zu rechtfertigen. Die Krise kann manchem zum Vorschein verhelfen, was sonst nicht das Licht erblicken würde. Und gleichzeitig ist jeder Tag ein Tag zu viel.