Als ich zum Bahnhof komme, hat mein Zug bereits reichlich Verspätung. Den Gesprächen der Mitreisenden zufolge soll es auf der Strecke nach K. eine Baustelle geben und Schienenersatzverkehr. Keine Durchsage am Bahnsteig. Die Informationen im DB Navigator sind uneindeutig und wechseln ständig. Endlich fährt mit mehr als halbstündiger Verspätung der Zug ein und wird von einer frustrierten Menschenmenge gestürmt. Auf der Fahrt dann die überfällige Information, dass der Zug in R. endet und Ersatzverkehr eingerichtet ist. Inzwischen bin ich Pate einer älteren Schweizerin geworden, die mit einem schweren Koffer auf dem Weg nach Köln ist und völlig entnervt von den bisherigen Strapazen das deutsche Bahnwesen sehr unschweizerisch mit diversen Schimpfwörtern belegt. Nach einigem Suchen finden wir den Platz, wo der Bus abfährt, besser: abfahren soll. Denn wieder ist Warten angesagt. Nach einer Weile machen sich die ersten Fahrgäste wieder auf den Weg zu den Gleisen – angeblich geht bald ein Zug. Ich traue den Angaben längst nicht mehr und habe lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Irgendwann fährt tatsächlich der Bus vor und alle finden Platz. In meiner Vorstellung geht es nun schnell nach K. – der Zug hält bis dahin schließlich auch nicht. Doch der Bus gondelt in aller Seelenruhe durch sämtliche Dörfer auf dem Weg. Nach beinahe einer Stunde kommen die ersten Hochhäuser in Sicht – wir haben die Stadt erreicht, denke ich, es handelt sich nur noch um Minuten. Der Bus bleibt stehen. Passiert im Feierabendverkehr. Er steht noch immer. Raunen unter den Passagieren: “Der Bus ist kaputt.” Echt jetzt? Das glaube ich nicht. Aber er steht wirklich – in einer Kurve auf dem Zubringer zur Bundesstraße! In der Stadt sind wir übrigens immer noch nicht, wir stehen direkt am Ortsschild von E. – noch sechs Kilometer bis zum Bahnhof. Inzwischen ist der Fahrer ausgestiegen und telefoniert über sein Handy. Der Bus ist kaputt. Einige fangen an zu lachen – die Situation ist so unwirklich! Die ersten Fahrgäste machen sich vom Acker. 17 Minuten Fußweg bis zur nächsten S-Bahn-Station (falls die fährt!). Ich denke an den Koffer meiner Schweizerin und verwerfe diese Strategie augenblicklich. “Können Sie nicht mal eine Durchsage machen?”, spreche ich den Busfahrer an. “Ich nur spanisch”, antwortet der mir. An dieser Stelle gleite ich in eine surreale Welt hinüber. Immerhin schießt mir noch der Gedanke durch den Kopf, ich könnte ein Taxi rufen. Wer sich jetzt noch auf die Bahn verlässt, ist verlassen. “Um 18 Uhr geht der letzte Zug heute nach Amsterdam”, schalten sich besorgt zwei Holländerinnen ein, die auf der Rückreise sind. Ich versuche zu retten, was vom Ruf des deutschen Verkehrswesen noch übrig ist, und wähle die erstbeste Nummer. “Aber bitte kommen Sie mit einem großen Auto, hier fahren noch mehr mit.” Das Taxi trifft kurz darauf ein, wir quetschen uns zu siebt hinein – sogar der große Koffer der Schweizerin findet noch Platz. Wenige Minuten später sind wir am Bahnhof. Nach den gemeinsam bestandenen Abenteuern fällt der Abschied der Reisegruppe beinahe schon schwer. Ich strecke das Geld für die Taxifahrt vor. Ob ich es von der Bahn wiederbekomme? Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken – ich muss schauen, ob meine S-Bahn fährt; noch bin ich nicht daheim. Immerhin erreichen die beiden Holländerinnen gerade noch ihren Zug. An Bord ist auch die Schweizerin samt Koffer, die mindestens fünf Stunden später als geplant bei ihrer Zwillingsschwester in Köln ankommen wird.