Es ist eine der Grundfragen, die allen Religionen gemeinsam ist, welche die Vorstellung eines göttlichen Wesens teilen: Woher kommt all das Schreckliche, das Menschen geschieht, wenn es einen Gott gibt? Warum lässt Gott das zu?
Die jüdische Tradition widmet dieser Frage in ihrer Bibel, die Christen das Alte Testament nennen, ein ganzes Buch. Es wirft die Frage auf, warum ein Mensch leiden muss, obwohl er sich in seinem Leben in vorbildlicher Weise als gerecht und fromm erwiesen hat. Da es unmöglich erscheint, dass Gott hinter seinem schrecklichen Schicksal steht – der Protagonist Hiob verliert neben all seinem Besitz und seinen Kindern schließlich auch noch seine Gesundheit -, wird in der Rahmenhandlung des Buches die Person des Satans eingeführt. Er erklärt die Frömmigkeit Hiobs damit, dass dieser von Gott bisher nur Segen empfangen habe. Ziehe jedoch Gott seine schützende Hand ab, werde Hiob vom Glauben abfallen und ihm ins Angesicht fluchen. Gott lässt sich zu dieser ‘Wette’ hinreißen und willigt ein, dass der Satan Hiob alles nehmen darf – nur sein Leben muss er schonen. Und schon treffen die sprichwörtlichen Hiobsbotschaften ein: Hiobs riesige Herden werden gestohlen oder kommen um, seine zahlreichen Kinder werden von einem Festzelt erschlagen und er selbst muss sich schließlich mit einer üblen Krankheit plagen. Das Leben ist ihm ein einziges Leiden geworden.
In dieser Rahmenhandlung sind Gott und Satan getrennt: nicht als zwei ebenbürtige Widersacher, wie die volkstümliche christliche Tradition es später oft verstehen wird, sondern in Subordination: der Satan ist Gott untergeben, er gehört zu den “Gottessöhnen” – himmlischen Wesen, die den orientalisch gedachten Hofstaat Gottes bilden. Allerdings besitzt er eine gewisse Teilautonomie und führt deshalb bis zu einem bestimmten Grad ein Eigenleben. Was der Satan Hiob antut, um ihn auf die Probe zu stellen, kommt deshalb nicht aus Gottes Entschluss, wohl aber wird es ihm von höchster Seite ausdrücklich gestattet, solange eine bestimmte Grenze nicht überschritten wird. Damit wird das Böse in einer eigentümlichen Spannung zu Gott beschrieben: Gott will es (eigentlich) nicht, aber er verhindert es auch nicht. Die Motivation dafür, den Menschen mit Leid zu überziehen, wird gewissermaßen aus dem Wesen Gottes ausgelagert. Das Böse kommt nicht direkt von Gott, auch wenn er es zulässt. Woher es letztlich kommt, bleibt in der Schwebe. Und was prima vista wie ein perverses himmlisch-diabolisches Spiel auf dem Rücken eines geprüften Menschenkindes anmutet, ist in Wirklichkeit theologischer Kniff, um das Böse nicht als unmittelbaren Ausfluss göttlichen Willens beschreiben zu müssen. „Ohne Grund hast du mich bewogen, ihn zu verderben“, hält Gott dem Satan vor, als Hiob sich nach der ersten Attacke bewährt und unbeirrt an seinem Glauben festgehalten hat. Gott bleibt der Regisseur des Stücks, dessen unvorhergesehene Wendung ins Tragische allerdings dem Kopf des Regieassistenten entspringt, der austesten will, ob die Protagonisten ihr wohlgefälliges Spiel auch unter extremen Bedingungen fortsetzen. Der Regisseur lässt ihn gewähren, nicht ohne sich selbst ein Stück weit davon zu distanzieren: Er hatte ein happy end geplant.
Am Ende des Buches, nach langatmigen Dialogen zwischen Hiob und seinen Freunden, die ihm vergeblich Flecken auf seiner weißen Weste nachweisen wollen, da Gott nur den Ungerechten strafe, nimmt die Geschichte noch einmal Fahrt (im doppelten Sinn) auf. Auf einer virtuellen Reise durch das Universum, auf der die milliardenfachen, undurchschaubaren Vernetzungen dieses Systems in den Blick kommen, begreift Hiob schließlich, dass er dieses Zusammenspiel nie begreifen wird: sein Hirn ist dafür schlicht zu klein. Infolgedessen lässt er ab von seinem Wunsch, Gott vor Gericht zu ziehen, und verfällt in ein andächtiges Staunen, das jenseits aller subjektiven Leiderfahrung angesiedelt ist. Der Erklärungsversuch von Hiobs Freunden – es leidet nur, wer zuvor schuldig geworden ist – wird ausdrücklich kritisiert: Hiob war tatsächlich gerecht – dennoch wurde ihm dieses Schicksal zugedacht.
Nun müsste es eigentlich zum abschließenden Showdown zwischen Gott und Satan kommen mit der Frage, wer diese Wette am Ende gewonnen habe. Doch der Satan taucht in der Rahmenerzählung, an die das Ende des Buches anknüpft, gar nicht mehr auf. Und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Es gibt ihn nicht (mehr). Zu Beginn der Erzählung war er eingeführt worden als Ausdruck eines Glaubens, der Gott ausschließlich als für das Positive zuständig denken kann und das Destruktive deshalb zumindest partiell auslagern muss. Am Ende des Buches hat sich Hiobs Gottesbild jedoch gewandelt: Er begreift, dass Gott nicht einfach die Macht ist, die ihm die Hindernisse aus dem Weg räumt und für sein Wohlbefinden sorgt. Das, was Gott genannt wird, ist komplexer, vielschichtiger, auch abgründiger, als wir uns gern vorstellen möchten. Luther sprach an dieser Stelle vom verborgenen Gott (deus absconditus), gewissermaßen die Rückseite des Gottes, der sich als liebend offenbart hat (deus revelatus). Gott ist nicht nur das Positive, er beinhaltet auch das andere. Gott ist … alles. Deshalb gibt es am Ende des Hiobbuchs keinen Platz mehr für den Satan – er hat seine Rolle in diesem Stück verloren. Was immer Hiob widerfuhr und noch widerfahren wird – auch der Segen, der nach seinem Unglück ein zweites Mal über ihm ausgegossen wird: Es kommt alles von Gott. Nebenbei bemerkt: in diese Richtung zielt auch der Hinduismus, in dessen Pantheon es Götter für alles und jedes gibt. Darunter auch Shiva, der/die zerstört und neu erschafft.
Ob dieses Gottesbild plausibel ist oder bis zu welchem Grad, ist weniger eine theoretische denn eine praktische Frage: Kann ich das lieben, was mich auch zerstört? Und noch schärfer: Was, wenn mir ‚das Böse‘ in einer derart ‚satanischen‘ Gestalt begegnet, die von Grund auf allem widerspricht, was ich als gut erkannt habe und wofür ich mich einsetze? Wird mein Kampf für das Gute dann nicht gleichgültig, wenn für Gott alles gleich gültig ist, Manövriermasse im undurchschaubaren kosmischen Spiel der Kräfte? Also doch lieber den Satan vom Job-Center abholen und wieder an seinen alten Arbeitsplatz setzen? Und ungeklärt lassen, was nicht zu klären ist?