Tag für Tag tingelt der ukrainische Präsident derzeit virtuell durch die Parlamente. Mal gibt es standing ovations (Italien), mal wird sein Vergleich mit dem Nationalsozialismus kritisiert (Israel), mal werden (ebenfalls nach standing ovations) anschließend Geburtstagsgrüße verteilt (Deutschland).
Keine Frage: Selenskyj vermittelt das Bild, die Menschen in der Ukraine fühlten sich v.a. von ihren europäischen Nachbarn im Stich gelassen – trotz der Sanktionen, trotz der umfassenden Hilfsmaßnahmen für die Zivilbevölkerung auf der Flucht, trotz manch anderer Unterstützung. Er wünscht sich Unterstützung der ukrainischen Armee: massive Waffenlieferungen, die Einrichtung einer Flugverbotszone etc. Was die NATO-Staaten in der Angst vor einer weiteren militärischen Eskalation nicht tun.
Ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht? Gibt es wirklich nur das letzten Endes tatenlose Zuschauen oder die gewaltsame, unkalkulierbare Intervention?
Seit Beginn des Krieges werbe ich für einen dritten Weg: den des gewaltlosen Protests: es ist der, den Teile der Bevölkerung in der südukrainischen Stadt Cherson gegen die russischen Besatzer praktizieren: Tag für Tag gehen sie auf die Straße, gewaltlos, aber mit deutlichen Worten: “Geht heim!” rufen sie den Besatzern zu. Die wehren sich mit Tränengas.
Was wäre, wenn die Ukrainer ihre Waffen ablegten, nicht aber ihren mutigen Geist des Widerstands, und der Okkupation auf der Straße entgegenträten – als Massenbewegung von Hunderttausenden? Als ziviler Widerstand, die Zusammenarbeit auf allen Ebenen verweigernd und unermüdlich den Abzug der Besatzer fordernd?
Und was, wenn ihnen Menschen aus anderen Ländern dabei zu Hilfe kämen, jetzt schon, sich sammelten zu einem großen friedlichen Marsch unter den Augen der Weltöffentlichkeit, eine tausendfache Anklage, ja mehr noch, ein einziger Ruf nach Frieden?
Ich werbe noch immer dafür und glaube, dass Worten mutige Taten folgen können.