Lyrik

Im Südwesten heute schwül-warm

Ein süßlich-schwerer Lindenduft
hängt heute wieder in der Luft,
wie ist der Tag so schwüle.
Auch ich, ich hänge schwer herum,
doch süßen Schlaf gibt’s nicht, wie dumm,
es fehlt dazu die Kühle.

Erländer See im Frühsommer

Weiße Pelzsegel
eine Armada von Samenschiffen
treiben einem neuen Leben entgegen

im Wasser dazwischen
strampeln Insekten
um ihr altes

Der Fischschule
einen Stock tiefer
ist’s gleich

Eschatologisches Trio oder:
Weltuntergang in drei Akten

I Apocalypse Now

Wie kläglich
lesen sich die Apokalypsen
vergangener Zeiten
angesichts dessen
was uns blüht

Für jene
Walten
des Himmels
für uns
Antwort
der Erde


II. Die zwei Augen der Erde

Von einer Sekunde
zur andern
hörten
acht Milliarden
Menschenherzen
auf zu schlagen

Die Erde
weinte
und
atmete
auf

III. Noah ohne Arche

Es gibt unzählige Filme
wo eine Handvoll Menschen
die globale Katastrophe überlebt

Meines Wissens
gibt es keinen
der von einer Erde
ohne Menschen
erzählt

Wie erfrischend
langweilig

Es geht

Unser Lebensweg beginnt
mit einer Engstelle

Erst wenn wir uns hindurchzwängen
zeigt sich:
Es gibt einen Weg

Und so immer wieder

Ich gehe …
… und es geht.

Über Gedenktage

Die Beschäftigung
mit vergangenem Unrecht
macht nicht automatisch
sehend für
gegenwärtiges.

Wert(voll)er Hintern

Der Zuwachs an Wohlstand
in vierzig Jahren
(etwa seit 1980)
(in Deutschland)
lässt sich ablesen
am Inhalt
der Gesäßtasche von Jugendlichen

Damals der unvermeidliche,
aus billigem Plastik
gefertigte Kamm

Heute das unvermeidliche,
aus wertvollen Rohstoffen
gefertigte Smartphone

Ostermontag in Deutschland

Autobahnraststätte
Hessisches Bergland

im Pissoir
Schneeflocken
durch’s offene Fenster

Lebenssinn

Was ist der Sinn des Lebens nur?
Das frag nicht mich, frag die Natur:
Dort heißt es – erstens – Leben leben
und – zweitens – Leben weitergeben.
Klingt dir das billig und banal,
dann gehe hin und lebe mal!
Klingt dir das schwierig und zu viel,
dann sieh, es ist ein Kinderspiel!
So fällt den einen viel zu leicht,
was anderen unmöglich deucht.

In diesem Moment wo

In diesem Moment
wo
ich auf dem Sofa sitzend
den Rücken durchdrücke
der Ofen knarzt
und ich einem noch nicht identifizierbaren, etwa im Sekundentakt vernehmlich werdenden Geräusch nachlausche
ansonsten aber Stille

bin ich

Zerfallszeit

Mit jedem Meter
Abstand vom Bett
schwindet die Plausibilität
eines Traumes

Gott sei Dank

Leider

Spiegel der Seele

Schwan
auf
schwarzem Wasser

jetzt
auch noch
kopflos

Definition

Der Inhalt
hält
drei Jahre

die Verpackung
dreihundert

Das nennt
man
Fortschritt

Morgen

Der Fluss glänzt
Die Glocke schlägt
Ein Vogel singt

Berlin Hauptbahnhof

Den Reichstag im Rücken
durchwühlt sie den Abfalleimer

Sommerbst

Bei zwanzig Grad
glaube ich dem Herbst
sein Goldgelb nicht

Du trittst die Blätter mit den Füßen
und obenrum ist Sommer

Winterfest machen
Rauhreif und Atemgewölk
Nebel und Sturmwind

Ach,
bleib,
trügerischer Herbst

Farben der Freiheit

Impression zum 3. Oktober

Schwarzer
mit goldenem Handy
vor roter Ampel

Liberty
steht auf seinem T-Shirt

Hungerberg

Während ich mich
mit dem Mountainbike
den Hungerbergweg
hinaufkämpfe

stelle ich mir vor
womit die Menschen gekämpft haben
die dem Hungerberg seinen Namen gaben

Ein Eichhörnchen huscht
über den Weg

Hätten sie es
gejagt?
Gegessen?
Wo doch der ganze Wald
dem hohen Herrn
von Gottes Gnaden
gehörte?

Am Gipfel wartet die Einkehr.
Was darf’s heute sein?
Spaghetti ai frutti di mare
oder doch lieber
Maultaschen mit Kartoffelsalat?

Ich schaffe es
ohne
Hungerast

Alternativen

Du baust dein Haus
an die Straße und hast dahinter
den schönen Garten

Du baust dein Haus
weg von der Straße
und hast Ruhe

Glücklicherweise
bewahrt ein gnädiger Bebauungsplan
vor derartigen Dilemmasituationen

René (Descartes) im Reim

Wenn alles das nicht ist, was ist,
und du, was du auch seist, nicht bist,
dann existiert auch mein Gedicht,
es ist schon traurig, leider nicht.
Doch Nichtsein eignet auch der Trauer,
so ist dieselbe nicht von Dauer.
Es rinnt mir alles durch die Hände –
mitsamt den Händen- , auch das Ende
und auch der Anfang, der nie war,
verschwindet wieder – sonderbar.
Wollt‘ ich das Ganze weiterführen,
kann auch das Nichts nicht existieren,
wohin ich sehe – eine Schranke.
Bleibt dann vom Nichts mir der Gedanke,
so dass, dies wäre dann der Sinn,
beim Denken wenigstens ich bin?

Dreier

Wer hätte als Mann
nicht schon daran gedacht

neulich
wir waren zu zweit
kam sie dazu

ihre Beine
unglaublich

überall hat sie mich berührt
und total verrückt gemacht

diese Fliege

Problematische Problemlösung

Wenn du dich
an folgende sieben Regeln hältst,
verspricht das Buch mir in die Hand,
wird es dir in deinem Leben
deutlich besser gehen.

Worüber
soll ich dann
noch
schreiben?

Begrenzt resilient

Er hatte den Resilienztest
(56 Fragen im Buch)
gerade erfolgreich absolviert
da schmierte sein Flieger
in einem weiten Bogen ab
und stürzte ins Meer
das alle aufnahm
ob wenig, mittel oder hoch
resilient

Was ein Badestrand offenbart

Die ungestüme Neugier der Kleinen
die selbstverständlichen oder angestrengten Schritte der Jungen in die Erwachsenenwelt
die ängstliche Fürsorge der Eltern für ihre Kinder
die verbissenen Versuche der Älteren, dem Zahn der Zeit zu trotzen
die stille Zufriedenheit der Alten

Jetzt endlich

Jetzt
wo ich endlich
gelernt habe
zu leben

denkt der Alte
als sie ihn
in die Notaufnahme
schieben

ist es
vorbei

Was es ohne Technik nicht gäbe

Mein Mountainbike

Mein Tourenrad

Mein altes Mountainbike

Guter Sommer

Ein Fässchen auf Zahnstochern
hüpft
vor meinem Reifen
über den Weg

Gut genährt
sind sie dieses Jahr
die Feldmäuse

Kindersegen

Großeltern
sah ich
mit Kinderwagen

Jeder
schob
einen

So üppiger Nachwuchs
was für ein
Segen

Beim Näherkommen
waren’s
Golftrolleys

So und nicht anders

Was wolltest du nicht alles
anders
machen
als deine Eltern?

Eine bessere Ehe führen,
weniger Fehler bei der Kindererziehung,
bewusster leben.

Jetzt sieh dich an:
über deine Ehe wagst du kein Urteil mehr,
die Päckchen deiner Kinder – du hast mitgeschnürt,
und das wissen heißt noch nicht bewusster leben

Verletzt und verwundet
von anderen
vom Leben
hast du
verletzt und verwundet

Ja, sieh dich an,
so bist du
geworden:

Ein echter
Mensch

Gemäßigt

Die Extremen
verlieren
alles
was sie haben

Die Gemäßigten
behalten
was sie haben
bis zum Schluss

Ich bin nicht
gemäßigt

Baden-Baden Innenstadt

Die Frau
sieht neben dem Baum
die einsame Bierflasche
schaut sich um
bückt sich
nimmt sie
leert den letzten Schluck auf die Erde
und steckt sie in eine Tasche

Sie brauchte sich nicht zu
schämen 
nur
im Schaufenster
eine Lederhandtasche
schon maximal errötet zu bordeaux
hat zugesehen
Preis 1290.- EUR

Kurzes Leben

Warum
ist das Leben
so kurz?,
fragt das Plakat
der Zeugen Jehovas
eine Menschheit,
die vorbeieilt,
weil das Leben
so kurz ist.

Loslassen um zu blüh’n

Du ziehst dir über Schicht um Schicht,
um deine Haut zu schützen,
wenn erster Frost dich zittern macht.
Dem Baum wird das nichts nützen.

Nur nackt kann er den Winter seh‘n
und muss sich deshalb trennen,
muss von sich werfen, was er hat,
ist das nicht Tod zu nennen?

Er zieht sich in sich selbst zurück
und zeigt sich, wie er ist,
lässt fallen Schicht um Schicht sein Kleid,
als ob er es vergisst.

Dies Blätterkleid, beschneit, vereist, 
es würde ihm zu schwer,
er stürzte krachend auf den Grund
und wäre dann nicht mehr.

So trotzt in seinem nackten Holz
er Frost und Schnee und Wind,
dieweil die Blätter Teppich schon
am Fuß geworden sind.

Was in ihm ist, wer weiß das schon,
wie schwer der Abschied war.
Doch nur wer loslässt, der erlebt
das Blüh‘n im nächsten Jahr.

Einmal fliegen

Zeitlupenverliebt
schweben
herab
hinauf
herab
Blätter
im Herbst

Einmal
fliegen

Und sei es
zum
letzten
Mal

Neue Zeit

Während
am Tympanon
des Münsters
zig steinerne Skulpturen
sich an der christlichen Heilsgeschichte
abarbeiten

posiert
davor
zum Hochzeitsbild
das muslimische
Brautpaar

Ambivalent

Ich rolle
auf dem Rad
durch ein kleines Nest

Überall
nicken
Köpfe

Ich staune
und fühle mich
wahrgenommen

Doch bin ich
anders
als sie

Hier
würde
mein Kopf
rollen

Klarheit

Vielleicht
dass Klarheit
mitunter schon darin
besteht,
Nebel
für
Nebel
und nicht für
Klarheit
zu halten.

Vielleicht wäre
das schon
viel

Wortteppiche

Ausrollten
Teppiche 
unsere
Worte

Lagerten sich drauf
Gedanken
strichen herum 
Fragen
tanzten drüber
Entdeckungen

Eingerollt
blieben Abdrücke
an anderer
Stelle zurück

Kastanie im Herbst

Krachend stürzt das Blatt vom Baum
auf den Boden, glaubst es kaum. 
Will, bevor es wird zu Erden, 
es zuvor zu Holz noch werden? 
Geht mit Knall von dieser Welt, 
ehe es ins Dunkel fällt?
Doch die Antwort ist banal, 
denn die Frucht in harter Schal‘
war es, die, zu Fall gebracht, 
mit dem Blatt den Lärm gemacht.

Des Tigers Blindheit

Es spricht der Tiger zu den Tieren,
die seine Angriffslust monieren:
Ich habe mit euch kein Problem.
Ihr seid mir alle angenehm.
Doch habt ihr ein Problem mit mir,
so kann ich leider nichts dafür.“

Sommer

Es ist so leicht, grad über Nacht,
das Leben ist so leicht,
als hätt‘ die Sonn‘ mit ihrem Licht
die Schatten weggescheucht.

Die Sorgen ziehn den Wolken nach,
sie folgen ihrem Lauf,
die Seele breitet Schwingen aus
und bricht ins Blaue auf.

Es schwebt in dir, du selber schwebst
und unter dir die Welt,
du stießt dich an den Grenzen wund,
nur Striche jetzt im Feld.

Die Luft, erwärmt, trägt dich empor,
im Kreise schraubst du dich
dem Licht entgegen, deinem Ziel
und Ursprung sicherlich.

Glücklich der Mensch

Glücklich der Mensch,
der zwei Stunden am Stück schmerzfrei geht.
Glücklich der Mensch,
der nachts Schlaf findet.
Glücklich der Mensch,
der einen Milchtütenverschluss aus eigener Kraft aufbekommt.
Glücklich der Mensch,
der immer noch über Sonnenuntergänge schwärmt.
Glücklich der Mensch,
dem vergeben wird.
Glücklich der Mensch,
der geliebt wird.
Glücklich der Mensch,
der die Früchte seiner Arbeit erntet.
Glücklich der Mensch,
dem das Essen schmeckt.
Glücklich der Mensch,
der Freude am Sex hat.
(Man muss nicht alle Voraussetzungen erfüllen,
um glücklich zu sein)
Glücklich der Mensch,
dessen Wort etwas gilt.
Glücklich der Mensch,
der verzeiht.
Glücklich der Mensch,
der morgens gern aufsteht.
Glücklich der Mensch,
der mit anderen fröhlich zu Tisch sitzt.
Glücklich der Mensch,
der Träume hat.
Glücklich der Mensch,
der liebt.
Glücklich der Mensch,
der eine Herausforderung annimmt.
Glücklich der Mensch,
der Fehler zugibt.
Glücklich der Mensch,
der bei der Arbeit ins Schwitzen kommt.
Glücklich der Mensch,
der Zeit hat.
Glücklich der Mensch,
der sich traut, glücklich zu sein.

Kurze Definition vom Heimkommen

Im eigenen Bett
liegen
und die Füße
finden kein
Ende

Stimmen der Toten

Die Stimmen der Toten
sie sind nicht tot
doch hörst du sie jetzt nur noch flüstern
die Stimmen der Toten
sie sind noch da
von unseren Menschengeschwistern

Die Stimmen der Toten
sie flüstern dir zu: 
Was immer im Leben dich treibt
bist du erst wie wir, 
dann weißt du genau
es ist nur die Liebe, die bleibt

So gut

„Glauben und Vertrauen“
sagt sie.
Der Kopf kahl (Chemotherapie)
der Leib versehrt (Brustamputation)
vom Krebs befallen (inoperabel)

„Glauben und Vertrauen!“
ruft sie
lacht laut
hebt die Faust
ihre Augen sprühen

Es tut so gut

Erschwerte Bedingungen

Ein Wunder, dieser Baum.
Tief gebeugt, mit den Zweigen
den sonnenverbrannten Erdboden streifend.
Die Äste wie knochige Gliedmaßen,
in höchster Spannung
gegen die Schwerkraft haltend.

Was hat ihn so krumm werden lassen?
Der Wind?
Eine Krankheit?
Ein Hindernis?

Er hat sich beugen lassen.
Musste krumm werden.
Aber seine Blätter sind grün.
Er lebt.

Gegen die Kräfte halten, die mich beugen,
das möchte ich auch.
Krumm dabei werden
vielleicht,
aber dennoch
Zeichen des Lebens
an mir entdecken.

(K)einmal abschalten können

Selbst
die Bäume
im Wald
erinnern mich
an Namen und Gesichter

besonders
die abgebrochenen
und zersplitterten

Depression

Der Gedanke
wird zur Sorge

Die Aufgabe
zur Last

Der Schatten
zum schwarzen 
Loch

Entlastung

Es gibt Maschinen
die für uns
telefonieren, schreiben, Auto fahren etc.

In kürze
soll eine Maschine
vorgestellt werden,
die auch noch
für uns
lebt

Dann
können wir uns
endlich den
wirklich wichtigen Dingen
zuwenden

Steinbrote

meine lieben
steinbrote
die ich euch begierig
verschlang
dir ihr mir
schwer im magen
lagt
ohne mich
satt zu machen

weg mit euch

nicht steinbrot
will ich mehr
sondern
brot
aus
brot

Da

Da,
wo du auf keinen Fall hinwolltest.
Da,
wo du schon viel zu oft warst.
Da,
wo du dir selbst zwischen den Fingern zerbröselst.
Da,
wo es nur noch Fragen und keine Antworten gibt.
Da,
wo du darüber nachdenkst, den nächsten Baum anzupeilen.
Da,
wo dich alle nett, aber auch ein bisschen mitleidig ansehen. 
Da,
wo deine Augen kein Wasser mehr hergeben. 
Da,
wo dir alle möglichen Wege unmöglich erscheinen.
Da,
wo du dir selbst nicht mehr traust.
Da,
wo du keine zwei Schritte voraus sehen kannst. 
Da,
wo du dem Himmel deinen Schmerz entgegenbrüllst.

Unerwartet

Warm strich das Abendlicht
über die wogende Sommerblumenwiese

Kaum nur duckte sich das Reh zwischen hohen Mohnblumen
und war verborgen

Wo ist sie jetzt – meine Wiese? 

gemäht
gefallen
gestorben

Während ich dem Reh und den Mohnblumen noch nachtrauere, 
sauge ich ihn ein:
diesen Duft. 

Diesen Duft! 

Genug

Wohl dem,
der nicht immer einen Zipfel vom Universum
erhaschen muss
noch ständig eine Anschauung vom Ewigen
braucht,
sondern Genüge hat an einem Spätburgunder
und frohlocken kann über eine neue Küche