Am vergangenen Mittwochvormittag wurde ein Autofahrer in den Weinbergen oberhalb von R. bei einer Attacke schwer verletzt. Offensichtlich war es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Radfahrer gekommen, nachdem dieser sich geweigert hatte, dem Fahrzeug auszuweichen, das verbotswidrig auf einem Wirtschaftsweg unterwegs war. Laut einem Augenzeugen soll der Autofahrer dann versucht haben, den Radfahrer durch dichtes Auffahren vom Weg abzudrängen. Daraufhin sei der Radfahrer stehengeblieben, was den Autofahrer zum Aussteigen bewogen habe. Offensichtlich kam es im Anschluss zu einer tätlichen Auseinandersetzung, deren Hergang noch nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte. Möglicherweise wurde dem Lenker des Fahrzeugs mit einem Fahrradhelm ins Gesicht geschlagen; jedenfalls wurde er mit gebrochener Nase in die Klinik eingeliefert. Zudem müssen ihm eventuell drei Finger, die von der Autotür gequetscht wurden, amputiert werden. Ob sich auch der Radfahrer Verletzungen zuzog, ist unklar. Von ihm fehlt bislang noch jede Spur.
Ich ziehe die Zeitung aus dem Rohr und verpasse einmal mehr die Gelegenheit, mir das Frühstück nicht von schlechten Nachrichten versauen zu lassen. Krieg und Eskalation auf der Titelseite – wie gehabt: Es soll Leute geben, die schon gar keine Zeitung mehr lesen, weil sie es nicht mehr ertragen.
Ich schalte die Kaffeemaschine ein und lese im Stehen weiter. Ich stehe auf der Brücke der Titanic und will das Ruder herumreißen, aber meine Arme und Hände sind festgebunden und die neben mir sind blind für den Eisberg in der Dunkelheit.
Ich stelle den Kaffeebecher zur Zeitung, die schon auf dem Tisch liegt. Der Garten verschwimmt hinter dem Kondenswasser auf der Fensterscheibe. Ich lese von einer jungen Bundeswehrrekrutin, die keinerlei Probleme mit Befehlen hat. Befehl ist Befehl. Gehorsam. Pflichterfüllung für Volk und Vaterland. Da wächst eine Generation heran, die sich zu Kanonenfutter machen lässt – unfassbar! Verdammt nochmal, gibt es denn keine Kriegsunwilligen und Gewaltverweigerer in diesem Land?! Würden die, die in Talkshows so vehement den Krieg unterstützen, selbst an die Front gehen oder ihre Kinder dorthin schicken?
Der Kaffee ist nur noch lauwarm. Steigere dich nicht so rein, würde meine Frau sagen. Sie hat Recht. Aber was, wenn wir auf die ganz große Katastrophe zuschlittern? Was werden die Späteren zu uns sagen?
Während ich den zweiten Kaffee auf den kalten Rest laufen lasse, sehe ich mich am Grab meines Enkels stehen, verheizt im Krieg. Werde ich alles getan haben, um das zu verhindern? Am liebsten würde ich manche Politiker schütteln, wenn sie Milliarden in den Krieg stecken, aber keinen Plan haben, wie dieser Krieg beendet werden soll. Da zerreißt es mich fast.
Der Sportteil muss warten, ich brauche jetzt frische Luft. Der Hochnebel hat ein erstes blaues Loch bekommen.