Sage mir, wie du diesen Satz beendest, und ich sage dir, wer du bist. Zu einfach, um wahr zu sein?
„Ist das Leben nicht schön?“, zwitschert es von der Fichte in unserem Garten herab. Nicht apodiktisch, nicht aufdringlich, sondern Zustimmung heischend, auf Einverständnis aus. Ja, das Leben ist schön! Wäre es das nicht, warum sollten wir gegen einen Krieg aufstehen, der das Leben auf so vielerlei Weise tötet?
Und wie schön das Leben ist, in diesem Augenblick, wo ich das Privileg genieße, mit einem Kaffee auf der Terrasse in der Sonne zu sitzen und mein einziges Problem darin besteht, zu entscheiden, ob ich meine Jacke ausziehe oder anlasse!
Und im selben Augenblick stimmt „Das Leben ist scheiße!“, und dieser Satz gilt vielleicht weniger für die 94-jährige Zoe Burdoj , die sich mit vierzehn als Jüdin in Charkiw vor den Nazis verstecken musste und die nun wieder geflohen ist, als vielmehr für die Kiewer Kinder, denen die Nächte in U-Bahnhöfen einen dunklen Schleier über die Seele legen.
Manchmal kommen „scheiße“ und „schön“ zusammen – wie bei der alten Zoe, die jetzt von dem Land aufgenommen wurde, dessen Schergen 80 Jahre zuvor ihre Eltern ermordet hatten. Dieser Tage ist sie in Heidelberg angekommen.
(Rhein-Neckar-Zeitung 12./13.03.2022, 8)