Sehenswert: „Kevin Kühnert und die SPD“ – sechsteilige NDR-Doku, die den damaligen Juso-Chef von 2018 bis 2021 mit Kamera und Mikrophon begleitet hat (ARD-Mediathek).
Er ist klein, wie einer seiner Vorgänger im Geiste, aber er ist das Zentrum der Galaxie, und er weiß es, ohne es sich heraushängen zu lassen. Er weiß auch, dass er gut ist – momentan der Beste, den seine Partei zu bieten hat, wenn es darum geht, zu motivieren und anzuführen.
Mich faszinieren Politiker, die charismatisch sind und ihr Ding durchziehen – als hinge ihr Leben davon ab. Gleichzeitig machen sie mich argwöhnisch – weil ihr Leben davon abhängt. Kevin Kühnert gehört mit gerade 32 Jahren zur ersten Garde der SPD, und manche meinen, der Königsmacher werde in Kürze bald selbst den Thron erklimmen.
Doch dieser Mann, der genau weiß, was er will, kann warten – eine wichtige Tugend auf dem Weg zur Macht. Als ihm 2019 aus allen Richtungen angetragen wird, auf die Avancen der ewig ambitionierten Gesine Schwan einzugehen und mit ihr als Duo für die Parteiführung anzutreten, scheint dies bei aller Hinhaltetaktik von Anfang an ausgeschlossen für ihn zu sein. Stattdessen coacht er (!) später Borjans & Esken vor ihrer entscheidenden Vorstellungsrede für den Parteivorsitz in der Stichwahl gegen Scholz & … wie hieß nochmal dessen Partnerin?
Die hängenden Mundwinkel aus Schwaben vermag indes auch der Zauberer KK nicht zu liften – seine vergeblichen Versuche wirken beinahe rührend. Doch dann ist es geschafft, die zwei sind knapp durch. Im Team von Kühnert fallen sie sich jubelnd in die Arme, brechen in Tränen aus, während KK gefasst und ruhig das tut, was er ständig tut: auf Twitter tippt er gerade den programmatischen Post zum Tag – er hat schon längst die nächsten Schritte im Visier. Was an diesem Abend stattfindet, ist ein Etappensieg auf dem Weg zum Ziel, nicht weniger, aber auch nicht mehr …
Die mürrischen Mundwinkel von Esken gehen nach glücklich erfolgter Wahl vor laufenden Kameras immerhin für einen Augenblick nach oben. Wann sie sich ihres Sieges sicher geglaubt habe? „Als ich das Ergebnis erfahren habe.“ Gelächter im Hintergrund. Kühnert, lässig im Bürostuhl vor dem Bildschirm rotierend, Arme hinterm Kopf verschränkt, Augen an der Decke: „Ach, es wird alles sehr schwierig, aber wir werden auch viel Spaß mit ihr haben.“ Selbstironischer Kommentar eines Regisseurs, der genau weiß, dass er sein Stück nicht mit den besten Leuten auf die Bühne bringen kann, aber momentan leider keine anderen hat.
Und reden kann er: ein rhetorisches Kabinettstückchen ist seine Rote-Socken-Performance bei der Bewerbung um einen von fünf Vize-Vorsitzen in der Partei. Dieser Mann versteht es, seine Visionen in Worte umzusetzen: Worte, die begeistern und mitreißen, auch wenn er dabei mitunter wirkt wie ein ehrgeiziger Feldherr, der seine kampfesmüde Armee in eine neue Schlacht treibt. Halb belustigt, halb gönnerhaft sehen die obersten Genossen dem impulsiven Jungspund sein Ungestüm nach. Sie werden bald das Nachsehen haben.
Das Dreierfoto danach, aufgenommen mit den Vorsitzenden Borjahns und Esken, zeigt einen etwas ältlichen Einserabiturienten – zusammen mit seinen stolzen Eltern aus dem mittleren Bildungsniveau.
Und immer wieder taktieren. Er hält Burgfrieden mit dem ungeliebten Olaf Scholz, als der mangels Alternative zum Kanzlerkandidaten gekürt wird und dann, über alle Lager hinweg überraschend, die SPD bei der Bundestagswahl durch Nichtstun aus dem Tal der Tränen führt, während sein emsiger Kontrahent, unterstützt durch Medien und Öffentlichkeit, die keine Sekunde Unachtsamkeit verzeihen, sich selbst zerlegt.
Sympathisch ist er mir, als er, immer noch im digitalen Format, ankündigt, nicht mehr für den Juso-Vorsitz zu kandidieren – der nächste wohlüberlegte Schritt ist ein Bundestagsmandat. Da bekommt der sonst immer kontrolliert und souverän Wirkende plötzlich feuchte Augen.
Bislang hatte ich den Mann mit der ewigen Pausenzigarette (gab es da nicht schon mal einen in seiner Partei?) immer wieder mit dem Generalsekretär der Partei verwechselt, der auch mit „K“ beginnt. Inzwischen hat sich mir sein Name fest eingeprägt: Kevin Napoleon Kühnert. Die spannende Frage ist: Wann wird der Thronfolger das Zepter ergreifen und die k.u.k.-Epoche in der SPD einläuten? Dann sollte er endlich seinen noch pubertär klingenden Twitter-Account @KuehniKev umbenennen: am besten in @Kuehner_t-Chef.