Wenn eine Kuh an der Briefwaage hängt

Einer der Gründe, warum es uns so schwer fällt, respektvoll und verantwortungsbewusst mit dieser Erde umzugehen, liegt darin, dass unser Verhältnis zur Zeit stark unterentwickelt ist. Für die meisten Entscheidungen, die wir treffen, bildet unsere eigene Lebenszeit den Rahmen. Innerhalb dieser Grenzen bewegt sich unser Denken zumeist – verständlich, stecken diese paar Jahrzehnte doch den Horizont ab, vor dem wir unterwegs sind. Darüber hinaus zu schauen oder uns klarzumachen, wie viel Zeit schon hinter uns liegt, fällt schwer. So können wir keine halbwegs realistische Anschauung der Erdenzeit entwickeln. Dass unser Planet vor ca. 5.000.000.000 Jahren entstanden ist und vor 150.000.000 Jahren von Dinosauriern bevölkert wurde, lässt sich zwar in ehrfurchtsheischenden Zahlengebilden ausdrücken – aber vorzustellen vermögen wir uns dies auch nicht annähernd. Wir haben kein Organ dafür, das in der Lage wäre, Zeitspannen dieser Ausdehnung zu erfassen. Es ist, als ob man eine Kuh an eine Briefwaage hängen und dann das Gewicht ablesen wollte.

Man muss das begrenzte Hirn schon auf Touren bringen, um die Dimensionen zu begreifen, in die wir seit der industriellen Revolution durch Bevölkerungswachstum und zunehmende Ausbeutung und Zerstörung der Erde vorgedrungen sind.

„Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat 2006 die Welt-Erdöl-Reserven auf circa 163 Milliarden Tonnen geschätzt. Pro Jahr werden etwa vier Milliarden Tonnen gefördert. Seit Beginn der industriellen Erdölförderung Mitte des 19. Jahrhunderts sind rund 151 Milliarden Tonnen aus der Erde gepumpt worden, die Hälfte davon innerhalb der vergangenen 23 Jahre. Der „Peak Oil“, der Punkt an dem die Hälfte des vermuteten Öls aus der Erde geholt wird, soll innerhalb der kommenden zehn bis 15 Jahre erreicht werden.“
(https://www.tagesschau.de/wirtschaft/oelpreishintergrund104.html)
Eine sehr überschaubare Zeit … wenn man das Entstehungsjahr der Studie berücksichtigt, dürften wir den „Peak Oil“ bereits überschritten haben ….

200 Jahre genügten demnach, die Ölreserven des Planeten auszuplündern. Dieser Zeitraum entspricht 0,000004% der Erdenzeit. Um auch nur eine einzige Million Jahre so weiterzumachen, bräuchte es 5.000 Erden. Mit ebenso vielen Atmosphären.

Der Schwierigkeitsgrad dieser Rechenaufgaben hält sich in Grenzen: Schulkinder ab der Mittelstufe könnten sie ohne größere Probleme lösen. Geht es um die realen Probleme dahinter, stellen sich jedoch viele Erwachsene immer noch an, als könnten sie nicht bis drei zählen. Wir müssen wohl erst die Kuh an die Briefwaage hängen – korrekterweise müsste es, bezogen auf die Ölreserven und ausgehend von einem 20g-Brief, sogar ein Pottwal von 50 Tonnen sein …