Sprachlehre oder Sprachleere

Zugegeben, ich bin der Polemik nicht abgeneigt. Obwohl ich in der Regel versuche, sachlich zu bleiben und Verbalinjurien zu vermeiden. Aber was ich in den letzten Wochen an etlichen Stellen im Radio und Fernsehen vernommen habe, ist imstande, meinen Blutdruck schneller und nachhaltiger in die Höhe zu treiben als die Corona-Politik unserer Bundesregierung. Da kommen auf einmal „Politiker innen“ über den Äther, da ist von „Lehrer innen“ und ihren „Schüler innen“ die Rede. Ja, genau so gesprochen wie gerade geschrieben: Lehrer innen. Was beim ersten Mal noch als Aussprachelapsus durchgeht, entpuppt sich beim häufigeren Hören als neue Masche. Und ich frage mich, wie viel Dummheit unsere Gesellschaft eigentlich verträgt! Das geschriebene sogenannte „Binnen-I“ phonetisch als neuen Anlaut absetzen – haben diese Leute denn jegliches Sprachgefühl verloren?! Solche im wahrsten Sinn unsäglichen Konstruktionen sind ein untrüglicher Hinweis darauf, dass hier alles knallhart einer Ideologie untergeordnet wurde. Ein neuer Versuch, Sprache mit allen Mitteln gesinnungskonform umzubauen. Ich dachte eigentlich, solche Zeiten hätten wir hinter uns …

In den Richtlinien, die eine Arbeitsgemeinschaft „Geschlechtergerechte Schreibung“ 2018 vorlegte, waren mehrere Kriterien formuliert, denen neue Vorschläge genügen müssten:

Geschlechtergerechte Texte sollten u.a.

  • verständlich und lesbar sein
  • vorlesbar sein
  • für die Lesenden bzw. Hörenden die Möglichkeit zur Konzentration auf die wesentlichen Sachverhalte und Kerninformationen sicherstellen.

Es dürfte klar sein, dass der Kehlkopfhüpfer (die Kehlkopfhüpferin?) keinem der genannten Kriterien genügt. Vielmehr wirkt die sprachliche Verstümmelung wie eine absichtliche Stolperfalle, um den Fokus vom Inhalt auf die Ideologie zu verschieben.

Nicht besser schlagen sich Asteriscus- (Lehrer*innen) und Schrägstrichlösungen (Arbeiter/innen). Spätestens wenn es ans laute Lesen geht, zumal bei komplexeren Konstruktionen, ist Chaos vorprogrammiert: Der Lehrer/ die Lehrerin, die seinen/ihren Schüler/innen Vorbild sein möchte … wer kann oder möchte solchen Quark vorlesen?!

Dann lieber die Partizip-Lösung? „Studentenwerke“ sind inzwischen so gut wie ausgestorben, „Studierendenwerk“ heißt es nunmehr politisch korrekt. Dass „studierend“ den momentan Akt meint und so zum Ausdruck bringt, dass nicht immer studiert, wer studiert, d.h. nur zu bestimmten Zeiten „studierend“ ist, wird hier selbstredend zugunsten der höheren Sache aufgegeben. Sprachlich sauber geht anders. Aber wie?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Das Einzige, was ich weiß: Die momentan in der Öffentlichkeit und in bestimmten Milieus kursierenden Sprachregelungen sind allesamt ungeeignet, das bislang gebräuchliche generische Maskulinum zu ersetzen, das alle anderen Geschlechter in der männlichen Form eingeschlossen sieht. Ist z.B. in einem Gesetzestext vom „Mieter“ die Rede, sind damit nicht nur Männer gemeint, sondern alle Menschen, die mieten. Nebenbei gesagt besteht einer der Vorteile des generischen Maskulinums außer seiner Kürze darin, dass es auch Menschen einschließt, die sich als „divers“ bezeichnen. Feministinnen würden mir hier sofort widersprechen und einwenden, das generische Maskulinum schließe gerade nicht alle ein, sondern aus – bis auf XY-Träger.

Als Mann kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, dass sich Frauen in einer traditionell männlichen Sprache nicht abgebildet sehen, auch wenn diese den Anspruch erhebt, alle Geschlechter zu vertreten – das gilt übrigens nicht nur in der deutschen Sprache so. Aber welche vernünftige und praktikable Alternative gibt es?

Wenn es darum geht, dass Frauen in der Sprache mehr vorkommen sollen, ohne dass gleichzeitig die Praktikabilität auf der Strecke bleibt, scheint mir das noch am ehesten sinnvoll, was ich seit Jahren in Gesprächen vertrete: für eine bestimmte Zeit konsequent nur noch weibliche Formen zu verwenden. Das würde zumindest alle Nicht-Frauen mit der Erfahrung konfrontieren, sich von einer Form vertreten lassen zu müssen, die das eigene Geschlecht nicht abbildet, sondern nur aufgrund einer Vereinbarung beinhaltet. Vielleicht ein notwendiger Lernprozess für Männer. Und irgendwann wird vielleicht wieder klar sein, dass nicht immer alles und jedes genannt sein muss, wenn alles und jedes gemeint ist.

Sprache ist ständig im Fluss, aber sie verhält sich widerständig zu Ideologie. Sie hat ihre eigenen Gesetze und wandelt sich gleichzeitig unter neuen Moden. Doch lässt sie sich nur zu ihrem Schaden vor den Karren der Gesinnungsdiktatur spannen. Früher oder später gehen die Pferde durch – das lässt mich hoffen!

Wie seht ihr das, liebe Leser innen?

1 Kommentar

  1. Du sprichst mir so sehr aus der Seele!
    Zum Glück muß ich das als alter weißer Mann nicht mehr lange ertragen.
    Bartulf von Königsberg

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