Es gibt Menschen, an die erinnert man sich. Wegen ihrer herausragenden Taten – wobei “herausragend” nicht zwangsläufig Gutes bedeuten muss. Der Römer z.B., dessen Name bis heute Woche für Woche millionenfach genannt wird, verdankt seine Prominenz der Tatsache, dass er Jesus von Nazareth ans Kreuz schickte und im Glaubensbekenntnis als einzige Person neben Jesus und Maria genannt wird.
Aber was passiert mit den 99%, deren Namen niemand kennt und an die sich keiner erinnert? Das Kind, das in der Jungsteinzeit vor 7.000 Jahren im Jordangraben von einer Schlange gebissen wurde und starb? Der alte Hirte, der im ersten Jahrhundert in seiner Jurte in der Mongolei eines Morgens nicht mehr aufwachte? Die junge Frau, die irgendwann im Mittelalter beim Kampf zwischen zwei verfeindeten Stämmen auf Neuguinea ums Leben kam? Die unbekannte Schwangere, die im 19. Jahrhundert in eine Wiener Klinik eingeliefert wurde und nach der Entbindung dem Wochenbettfieber erlag?
Was ist mit ihnen? Den Millionen, ja Milliarden von Namenlosen, Unbekannten, Vergessenen? Sind sie einfach weg? Mit allem, was sie waren? Mit ihrem ganzen Leben, so lang oder kurz es gewesen sein mag, so banal oder spektakulär?
Dass all das einfach weg sein soll, ist kaum vorstellbar. Da klingt der Gedanke irgendwie plausibel, all diese Menschen mit all ihren Leben seien irgendwo aufgehoben und an einer Stelle aufbewahrt, die wir Gott nennen. Plausibel und geradezu tröstlich.
Oder nimmt, wer diesen Glauben teilt, sich einfach nur zu ernst, kann nicht verschmerzen, dass das, was er selbst für so bedeutsam hält, nach seinem Tod pulverisiert wird, spätestens dann aber, wenn den Nachfahren die Erinnerung an ihn abhandengekommen ist? Mag sein, und vielleicht liegt etwas Trotziges darin, darauf zu beharren, jeder Mensch mit seiner Lebensgeschichte sei unverwechselbar und wert, erinnert und bewahrt zu werden. Aber vielleicht gibt es so etwas wie eine himmlische Cloud, wo alles von uns aufbewahrt wird, nicht in Form einer abrufbaren Datenbank, sondern als Wolke von Eindrücken, Gedankensplittern, Bildern, Szenen, Farben, Blitzlichtern von Erinnerungen. Ich glaube das tatsächlich.